Warum gibt es diesen Blog?

Darauf gibt es ein paar Antworten: seit Oktober 2008 führe ich meinen Blog „My New Life In Canada“. Nachdem ich da hin und wieder Einträge über mein Leben in Paraguay eingestellt habe, bekam ich viele Mails, Kommentare und Telefonate mit der Bitte, weitere Beiträge über diese Zeit zu schreiben.

Obwohl es genauso mit meinem Leben zu hat, passt es aber nicht unbedingt zwischen die Berichte von meiner neuen und jetzigen Zeit in Kanada.

Dazu kommt, dass aus dieser schicksalhaften Zeit der Einwanderer in Paraguay von Anfang 1900, sehr wenig niedergeschrieben wurde. Die Älteren, die es miterlebt haben, sind leider schon verstorben.

Doch mein wichtigster Beweggrund für diesen Blog ist, das Erlebte von damals an meine Kinder und Enkel weiterzugeben. Sollten sie irgendwann wissen wollen, wie es damals war, müssen sie sich keine Vorwürfe machen, den Zeitpunkt danach zu fragen, verpasst zu haben.

Genau das ist mir passiert. Als ich jung war, interessierte es mich nicht. Ich fand die Geschichten aus der alten Heimat und die des neuen Aufbaus in Südamerika langweilig und nervig.

Ich war Kind und wollte Kind sein. Als ich erwachsen wurde, hatte ich meine eigenen Träume und Verrücktheiten im Kopf. Dann hatte ich mein eigenes Leben und meine eigene Familie.

Später wollte ich es wissen, doch die Großeltern waren längst verstorben, mein Vater auch und meine Mutter war von mir zu weit entfernt.

Bestimmt habe ich im Leben viele Fehler gemacht. Anstatt darüber zu jammern, betrachte ich es als eine Lehre und versuche, es in Zukunft besser zu machen.

Doch würde mir das Schicksal einen einzigen Tag meiner Jugend zurückgeben, würde ich ihn mit meinem Großvater „Opa Dreyer“ verbringen und ihm pausenlos Löcher in den Bauch fragen!

Diesen Blog widme ich meinen Kindern

Sonja A. McGill und Stephen J. Bennett.


„Ein niedergeschriebenes Wort, wird durch seine Veröffentlichung zu einem eigenen Leben erweckt“.

Dienstag, 8. November 2011

Gift für Körper und Seele

Dieses Kapitel zu schreiben wird bestimmt nicht einfach und doch verspüre ich einen sehr starken Drang es tun. Ich werde dem Gefühl nicht los, hier im Blog nicht weiter schreiben zu können, wenn ich gewisse Ereignisse, nein… sagen wir, fast zum Alltag gehörende Tatsachen der damaligen Zeit, einfach überspringe.
Auch muss ich damit rechnen, dass nicht jeder meine Meinung teilt. Bedenkt aber, ich will niemanden hiermit wehtun und ganz besonders nicht Negatives über Menschen schreiben, die schon lange nicht mehr unter uns weilen und somit, sich nicht dazu äußern, bzw. sich verteidigen können.
Gut möglich ist trotzdem, dass gerade diese Menschen, die mir mal sehr viel bedeuteten und schon sehr lange verstorben sind, heute auch eine ganz andere Ansicht hätten. Aus ihre eigene Erfahrung gelernt haben. Vielleicht sogar ein wenig stolz und glücklich darüber sind, dass ich heute schreibe, was damals Körper und Seele zerfraß und vor allem tabu war.
Ich rede von meine Eltern und das Alkoholproblem meines Vaters.
Jeder wusste es, doch trotzdem wurde verheimlicht, gelogen und betrogen. Doch am allerschlimmsten war die ständige Angst und Alarmbereitschaft, die in mir ein innerliches Zittern auslöste. Angst, Machtlosigkeit und  Schuldgefühle machten mich immer sehr traurig. Um das wiederrum schön zu vertuschen, entwickelte ich eine etwas vorlaute große Klappe. Damals war mir das aber nicht bewusst, ich tat es instinktiv, vielleicht Schutz…?
Warum eigentlich so viel Angst? Es war der ständige Streit zwischen meine Eltern. Doch nicht nur zwischen ihnen gab es Streit. Alkohol Konsum bedeutete (fast) immer Streit! Es gab keine Feier, egal ob Geburtstag, Weihnachten oder Ostern, an der kein Streit ausbrach. Es gab keine Feier auf der wir eingeladen waren, die nicht im Streit endete. Verständlicherweise wurden wir immer weniger eingeladen, was auch nicht so einfach war, denn man kannte sich im Ort und die Feiern wurden meist mit Anwesenheit der gesamten Gemeinde ausgeübt.
Auch, einfach nur die üblichen Sonntage am Sportverein, waren meistens Anlass zum saufen und raufen. Es genügte auch einen Besuch im Tante Emma Laden oder zum Feierabend nach getaner Arbeit.
Vom Peinlichen mal ganz zu schweigen. Es war ja auch ein gefundenes Fressen für die heranwachsenden männlichen Teenager, die damals auch nichts Besseres zu tun hatten, bzw. keinen anderen Treffpunkt hatten als der Tante Emma Laden. Da war ein Betrunkener ein gefundenes Fressen, um ihre Macht und selbstgeglaubte Schlauheit zu messen und zur Schau zu stellen.
Schon als Kind begleitete ich gerne meinen Vater. Manchmal ertappte ich mich dabei, seine Beschützerin sein zu glauben. Aus diesem Grund wurde automatisch auch ich als ein verbales Angriffsziel gesehen. Die übliche Stänkerei und bestimmt nicht böse gemeint, durch meine schnellen und gespitzten Antworten, glaubte jeder es macht mir nichts aus und habe noch zusätzlich einen Heiden Spaß dabei. So war dem aber bei weitem nicht. Ich zitterte innerlich und war den Tränen nah, doch ich zeigte es nicht. Anzumuten, dass es der Beginn war (leider bis heute noch) zu glauben, ich sei eine starke Person.
Tante Emma Läden waren rundum Geschäfte. Man bekam dort alles was es gab… oder was man glaubte das es gab. Ein langgezogener Raum, eine genau so lange Theke. Unter der Theke standen Säcke mit Mehl, Zucker, Salz, etc. dahinter ein Regal mit dem Nötigsten. Vom Kaffee bis zum Buschmesser. Stoffe, Schuhe, Puder, Lippenstift und Seife. Angeschlossen war ein Lager für Vorrat und Sperrgut, sowie ein Fass mit Kerosin für unsere Lampen, usw., usw.
Vor der Theke an der Wand standen Säcke mit Bohnen, Mais, Yerba und Maniok, die gleichzeitig als Barhocker dienten. Körbe mit Bananen und Eier. Auf der Theke, ganz an der Wand, stand ein kleines Regal. Anstatt Glasscheiben waren die Seiten aus Fliegengitter. Drin stand Gebackenes, Käse oder meine über alles geliebten „Mantecados“. Übersetzt sollte es „Butterkeks“ heißen, doch die Teile wurden aus Schweineschmalz, Mehl und Zucker von Einheimischen hergestellt.
Der damalige Schnaps war aus billiger Herstellung und billig zu haben. So stand so manch einer am Tresen und trank sich die Seele aus dem Körper.
An dieser Stelle, möchte ich klar stellen, dass mein Vater damals und dort nicht der einzige Alkoholiker war, es gab Viele. Wir teilten mit sehr vielen Menschen unser Schicksal, doch hier geht es nur um unsere Familie. Der familiäre Umgang der Alkoholiker war auch sehr unterschiedlich. Es gab Ehefrauen, die haben ihren Mann immer wieder hochgeholfen wenn dieser am Boden fast bewusstlos betrunken lag,  Andere ließen ihren Mann liegen bis die eigene Ernüchterung es ihn wieder erlaubte.
Was in einem vorgeht und wie damit umgegangen wird, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Es gibt starke und schwache Menschen. Oder auch die, die es sich nicht anmerken lassen. Doch eines ist sicher; es frisst die Seele!
Früher konnte ich es nicht verstehen, doch heute weiss ich, es ist auch ein Unterschied wie man damit als angehörige umgeht. Als Tochter liebt man einen Vater ganz anders als eine Ehefrau. Als Tochter akzeptiert man viel mehr, die Wurzeln der Liebe bestehen schon durch die Geburt. Erst viel später, stößt man auf die eigentlichen Scherben des Schicksals.
Viele Menschen sagen heute noch; mein Vater hätte nicht so viel getrunken wenn meine Mutter nicht so hart gewesen wäre. Andere sagen; meine Mutter wäre nicht so hart gewesen, wenn mein Vater nicht so viel getrunken hätte. Menschen die mich gut kennen, wissen, dass ich Sätze mit wäre, hätte, könnte, würde, absolut hasse und immer versuche sie zu vermeiden. Es war so und Punkt aus! Man kann immer aus seinen Fehlern lernen und es bei nächster Gelegenheit besser machen.
Als Kind hat man keine Wahl und ist gezwungen sich anzupassen. Es ist auch unterschiedlich was es letztendlich auslöst und welche Spuren es hinterlässt. So schreibe ich heute nur über mich und lasse meine Geschwister gefühlsbedingt raus.
Ich hatte damals die Kraft… und ja verflucht, ich habe sie mir genommen und versuchte es Beidem recht zu machen. Ich war zwar immer mehr das Papa-Kind, das wiederum trug zu weiteren Problemen bei. Später gab es auch das eine oder andere Mal, da mischte ich mich ein und versuchte zu schlichten. Auch wurde ich mehrmals dazu, nicht direkt gezwungen aber ungerechter weise dazu erpresst es tun, nur um Jahre später als Schuldige dieses verfluchten Elends niedergemacht zu werden.
Schon früh lernte ich eine Sonderantenne in Alarmbereitschaft zu halten. Es war immer sowas wie auf „Eierschalen zu laufen“.
Natürlich gab es auch Situationen, die uns später zum Lachen brachten. Andere Erinnerungen lösen auch noch nach vielen Jahren Schmerz aus.
Ich erinnere mich, wir waren noch kleine Kinder und machten uns über dem (vom Vater versteckten, und von uns gefundenen) Wein aus Papas Damajuana (eine in Korb geflochtenen 5ltr Flasche) her, damit er nicht mehr zu viel trinkt. Am Ende hatten wir alle einen in der Krone.
Immer wieder traf ich auf seine geheimen Verstecke. Nicht das ich suchte, doch ich bin davon überzeugt, als Angehörige wird man für dumm gehalten. Und das vermeintliche Spiel wird mitgespielt… vielleicht um den vorgetäuschten Frieden weiter vorzutäuschen…? Oder aus Respekt…? Nur, was ist das für ein Respekt? Wie auch immer, es geschieht und das Herz klopft.
Zurück zum 3. Juli 1963, wiedermal stand eine Feier vor der Tür; Die Goldene Hochzeit der Großeltern väterlicher Seite. Ein besonderer Anlas begonnen als Familienfeier und im Chaos endend. Erinnerungen an diesem Tag und seine Nacht, sind heute noch so klar und präsent wie vor fast fünfzig Jahren.
Zu der Zeit lebten wir schon dreieinhalb Jahre mit unserer Mutter in der nahe liegende Stadt. Offiziell um dort die Schule zu besuchen. Inoffiziell gingen sich unsere Eltern an fünf Tagen der Woche, sich und ihrem ewigen Streit aus dem Weg. Vielleicht war es auch nur um wieder tief und voll Kraft zu schöpfen, und für neue Streite am  Wochenenden fit zu sein.
Der Vater lebte die Woche unter in der Kolonie und wenn irgendwie möglich, traf er mit dem Bus am Freitag oder Samstag ein und blieb bis Montag. Wir waren finanziell von seinem Kommen abhängig. Doch es gab Wochenendtage, da war seine Trunkenheit sein einziges Mitbringsel. Oft und besonders bei schlechtem Wetter, ist die 37Km Busreise zu einem zwei Tage Trip geworden. Es gab noch keinen Asphalt und die matschige Straße wurde unterwegs an zwei Stellen polizeilich gesperrt. Da ging nichts mehr vor, weder zurück. Clevere Kleingeschäftsleute bauten genau dort einen kleinen Kiosk und boten in erster Linie alkoholische Getränke an.
Ach war das immer eine scheiß Situation. Irgendwie war ich glücklich darüber, dass mein Vater kommt. Doch um zu näher der Tag rückte, umso beängstigend wurde es auch.
Ich will nicht sagen, dass ich als Kind verkrampft und mit Herzklopfen bis zum Hals, mehr unters Bett als entspannt und Kinderglücklich auf meinem Bett lag, doch es kam schon recht oft vor.
Das Familienfoto der Goldenen Hochzeit, am frühen Nachmittag, als die Welt noch in Ordnung schien. Aufgenommen von einem Gast, der von Beruf selbsternannter Besserwisser und Fotograph war. 


Unsere Mutter mit uns vier Kinder, Eine Haushaltshilfe (die brauchten wir zu der Zeit, denn meine Mutter hatte 3-5 Jungs die vom Lande stammten, die bei uns unter der Woche wohnten und zur Schule gingen.), der offizielle Freund der Haushaltshilfe, der zu der Zeit gleichzeitig schon der inoffizielle Freund von meiner Schwester war, sind für diesen Tag raus aufs Land zu Großeltern und Vater.
Es war keine große Feier. Ein paar Nachbarn und ein paar Freunden waren am Nachmittag auf Kaffee und Kuchen eingeladen. Die mussten alle eine nicht zu kurze Strecke zu Pferde zurücklegen, daher auch unmöglich und gefährlich, erst bei Dunkelheit zu reiten.
Als der Abend anbrach, steigerte sich der Promilleanteil in Vaters und Großvaters Blut. Der Wortwechsel wurde auch immer lauter. Zwei betrunkene Dickschädel gerieten immer heftiger einander. Jeder, der einen Versuch wagte zu schlichten, viel schuldlos mit ins Gefecht und wurde aufs ärgste niedergemacht.
Endlich war es möglich, die zwei Obermachos auseinander zu bekommen und wir gingen alle in unserem Haus. Wir gingen ins Bett, es herrschte kurz Ruhe, dann ging der Spaß erst richtig los. Mein Vater beschimpfte und beschuldigte zuerst meine Mutter, dass sie was mit dem offiziellen Freund der holden Magd und inoffizielle Freund meiner Schwester hat. Gott sei Dank wusste er nicht, dass er eigentlich schon der Freund von meiner zu der Zeit 14 Jähriger Schwester war, er hätte ihn mit Sicherheit erschossen. Trotzdem, er fuchtelte nicht nur mit seiner Waffe, es viel auch ein Schuss. Ich kann nicht sagen, ob Vater auf Jemanden gezielt hatte und sein Ziel nur verfehlt hat, oder ob es einfach nur so wie eben seine Art war tat, quer in die Luft zu schießen um seine Macht bei Trunkenheit zu unterstreichen. Es war dunkel und ich konnte nur vorbeihuschende Gestalten und Taschenlampenstrahlen wahrnehmen. Außerdem war mein Logenplatz wiedermal unterm Bett. Unser großer Bruder (18) mischte sich zu dem Zeitpunkt ein. Nahm unserem Vater seine Waffe weg und versuchte zu schlichten.
Ich höre Papa heute noch schreien; „Dame mi arma, carajo… dame mir arma, carajo“ (gib mir meine Waffe, Karacho). Um eventuellen Unheil zu vermeiden, gab mein Bruder nicht nach. Als Strafe verlangte Vater den Motorradschlüssel von der alten Maschine die eigentlich mein Bruder gehörte. Trotz Trunkenheit, wusste aber unser Vater, dass mein Bruder keinen Schlüssel braucht um irgendein Motorrad zu fahren. Er verlangte von seinen damals noch nicht offiziellen zukünftigen Schwiegersohn, dass er ein Teil von der Maschine entfernt, damit mit Sicherheit nicht damit gefahren wird. Welch eine sinnlose und sture Strafe, er selbst konnte eh nichts mit der alten Mühle anfangen!
Es war gegen Mitternacht, der Streit nahm kein Ende. Im Halbdunkeln packte Mutter unsere Sachen zusammen und wir Kinder, Mutter und holde Magd, verließen das Haus. Mutter meinte für immer.
Mein großer Bruder und mein inoffizieller zukünftiger Schwager blieben beim wütenden Vater. Heute erinnert mir die damalige Situation ein wenig an der Geschichte vom Bauern, der in seinem Boot eine Ziege, einen Kohlkopf und einen Wolf über den Fluss bringen soll, kann aber immer nur eines mitnehmen. Die Frage ist in welcher Reihenfolge kann er es tun, damit der Wolf nicht das Schaf und Schaf nicht den Kohl frisst?
Wären die Beide mit uns gegangen, hätte mein Vater noch mehr Eifersuchtsphantasien gesponnen. Wäre der große Bruder mit uns und der Mann bei meinen Vater geblieben… ja genau, da hätte der Wolf womöglich das Schaf gefressen.
Der Bus kam aber erst ca. 05:30 an der Hauptstraße vorbei. Wir sind trotzdem mitten in der Nacht die 420Mtr bis zur Straße runter und versteckten uns im gegenüberliegenden Wald. Es war meine erste Nacht unterm freien Himmel. Wir Kinder versuchten ein wenig zu schlafen… ich weiss nicht, ob und wer geschlafen hat.
Zum Glück regnete es in der Nacht nicht. Nicht wegen schlafen im Wald, sondern wegen den bei Regen gesperrten Straßen. So kamen wir müde, verängstigt und ein wenig durchgefroren (Juli ist bei uns Winter) am nächsten Morgen in Villarrica an.
Ein wenig später kam mein Bruder auf sein Motorrad nach. Wie immer; hinterher tat es meinen Vater so sehr leid!
Ich frag mich, trotz Alkoholvernebelung, muss ein Mensch doch wissen wie sehr er einem weh tut, oder? Worte können so weh tun und sind im Bruchteil einer Sekunde gesagt, doch schmerzen können sie ein ganzes Leben. Was nützt da ein „tut mir leid“ wenn sich nichts ändert? So war es auch bei uns. Ich brauchte viele Jahre um zu verstehen, warum meine Mutter zu ihren eigenen Schutz sich immer mehr von meinen Vater abwand. Es war die einzige Möglichkeit, sich selbst von den vielen Endtäuschungen zu schützen.
Da ich einen guten Draht zu Papa hatte, versprach er mir auch immer wieder sich zu ändern. Mein Herz flippte vor Freude fast aus der Hülle, später tat jedes Versprechen nur noch weh.
Nach ein paar Tagen kam mein Vater total nüchtern und voller Reue wieder. Meine Eltern unterhielten sich lange, es ging wieder eine Weile gut… wie gesagt; eine Weile.
Ich erinnere mich als meine Mutter zu mir sagte; „diesmal hat er es ganz fest versprochen“. Vielleicht sagte sie es zu mir, um sich selbst zu überzeugen. Als Kind achtete ich nicht auf den beiliegenden Ton ihrer Worte.
Es war eine andere Zeit. Alkohol Missbrauch war damals auch keine Krankheit. Es war nicht nur eine Schande, es war auch eine Schwäche und Schwache mussten sich irgendwie auf eine andere Art stark zeigen, oder sie wurden vernichtet.
Am Ende bleiben Erinnerungen, die ein paarmal zu oft an der Seele geknappert haben.
Liebe Grüße!

Mittwoch, 6. April 2011

Der (aber)Glaube

Diesen Virus trinkt man schon mit der Muttermilch, was auch ganz normal ist, vorausgesetzt man wächst in Paraguay auf.
Eng verwandt mit den Mythen und Legenden, die Religion, ganz besonders mit den Heilpraktiken oder, berühmt und von dem Menschen dieses Landes im alltäglichen Gebrauch, der „Pajé“. Ein wenig mit Voodoo vergleichbar ist.
All das ist irgendwie eigenständig und doch gehört es zusammen wie Nudeln mit Soße. In jedem Haushalt oder Familie steht es hin und wieder auf den Speisezettel. Jeder hat schon irgendwann direkt oder indirekt davon gegessen und in jeder Vorratskammer steht zumindest eine Zutat bereit um vorbereitet, gekocht, serviert und gegessen zu werden. Selbstverständlich mit viel Würze bis hin zu teuflisch scharf!
Es eignet sich besonders gut als kleine Sensation die schnell und aufschweifend von Munde zu Munde eilt. Kaum gehört zeigt man sich tief betroffen, mit einem tiefen und lauten Einatmen, äußert man sowas wie: „Ay che Dios…“ oder „Santa María…“oder sonstige Heilige werden aufgerufen und man bekreuzigt dabei.
Es fängt schon bei kleinen unsinnigen Dingen an. Ich erinnere mich als wir Kinder eine Fratze zogen, die Augen verdrehten oder ähnliches, hieß es sofort; „Pass auf! Wenn dir dabei Wind ins Gesicht bläst, bleibst du für immer mit dieser Fratze!“ wir Kinder glaubten wirklich daran und wenn wir ein behinderten Menschen sahen, waren wir davon überzeugt, dass ihn irgendwann der Wind ins Fratzengezogenengesicht geblasen hatte.
Gab es einen Gockel zum essen, bekamen die Kinder nie die Flügel zugeteilt, man würde sonst ihren baldigen Aufbruch unterstützen. Die Beine des Hähnchens waren auch für Kinder tabu… es würde das zu frühe Davonlaufen fördern. Den Hals erst recht nicht, davon werden Kinder aufmüpfig. Das Herz hingegen wurde in vielen winzig kleinen Stücken verteil, damit auch jeder was abbekam.
Es gibt da tausende Beispiele, ich komme später darauf, erst möchte ich ein wenig über das Phänomen „Pajé“ schreiben. Im Grunde bedeutet es etwas zu tun, um etwas zu erreichen. Und um die Frage im Voraus zu beantworten; ja, auch ich habe zich Mal Pajé gemacht, bin zwar nicht aber gläubig, doch ich vermeide Dinge zu tun, von denen es immer was Negatives bedeutete. Z.B.: abends werde ich niemals eine Spinne töten… aber wehe das biest begegnet mich morgens. Ich verschenke nie Taschentücher… Ich rühre nie mit ein Messer oder spitzen Gegenstand um… Ich lass mir nie Schuhe schenken, wenn doch, dann bezahle ich sie symbolisch mit 1 €/$... Eben nur Kleinigkeiten.
Um „Pajé“ zu verstehen, nimmt bitte das bekannte „Voodoo-Bild“ aus eurem Sinn, den ihr bisher aus den Afrikanischen kennt. Es ist höchstens eine Abweichung, nicht sowas wie Nadel in Stoffpuppen piksen. Für Pajé muss etwas getan werden um etwas zu bewirken. Was eingegraben, was versteckt, was eingenommen, etc. und natürlich meist wird zusätzlich eine Kerze dazu angezündet. Ich kann mich erinnern, als wir schon in der (klein)Stadt wohnten und nur von Paraguayern umgeben waren, da erzählte mir eine Nachbarin, unter strengster Geheimhaltung versteht sich, dass sie bei andere Nachbarn durch das Fenster was ganz schlimmes entdeckte. Das Bild vom Hausherren, der kurz vorher mit einer Anderen durchgebrannt war, stand auf dem Kopf und eine Kerze brannte davor… ok, dachte ich… und, was ist so besonders daran? fragte ich… meine Nachbarin bekreuzigte sich, schaute mich vorwurfsvoll an und sagte; „weil die Frau dem Teufel persönlich um Hilfe bat!“ Ui… jetzt wurde es mir auch ganz anders, irgendwie lief es mir eiskalt den Buckel runter… „ja, wie jetzt?“ fragte ich. Sie sagte, weil das Foto auf den Kopf steht und eine Kerze davor brennt! Ich war beeindruckt!
Ob eine Kuh verkalbte, ein Hund die Tollwut bekam, die Hühner erkrankten, oder ein Gewitter aufkam, die hiesigen Angestellten wussten immer woher diese Strafe kam und schnell folgte, erfolgreich oder nicht, das Gegenmittel Pajé um eine evtl. Ausbreitung des Unglücks zu vermeiden. Wichtig war damals auch in jedem Haushalt einen sogenannten „Altar“ zu haben. Ein paar Heiligenbilder oder Figuren, ein paar Plastikblumen drum herum und immer eine brennende „Vela de cebo“ (Rinderfettkerze). Für besondere Wünsche oder als Zeichen der Dankbarkeit, zündete man eine zusätzliche Kerze an.
Bedenkt man, was sich alles so hinter einem Besen verbirgt, er kann nicht nur den Dreck wegfegen… nee, nee, er kann so viel mehr … hat man lästigem Besuch, stellt man den Besen hinter der Küchentür und der Besuch verbschiedet sich. Kehrt man einer anderen Mädel/Frau vor den Füßen, nimmt man ihr den Freund/Mann weg. Nachts durfte nicht gekehrt werden, sonst stirbt die Mutter. Ja, echt makaber.
Wenn nachts die Hunde den Mond anjaulten und sich eine schlaflose Nacht anbahnte, legte unsere Mutter ihren Schlappen neben Bett mit dem „Gesicht“ nach unten und die Hunde verstummten.
Als wir in Villarrica wohnten, gab es so viele Straßenhunde. Sah man einen Hund der gerade in die Hocke ging um sein Geschäft auf den Bürgersteig in unmittelbarer Nähe zu erledigen, konnte man das vermeiden in dem man die zwei kleinen Finger verhakte und ganz fest dran zog. Der Hund stand wieder auf und ging weiter, versuchte er es nach ein paar Meter wieder, wiederholte man das „Fingerziehen“, solange bis der Hund außer riech- und tret-Weite war. Ehrlich! Das hat immer geklappt!
Dann sind da auch noch Träume gewesen und was sie bedeuteten. Auch das hing mit Pajé zusammen. Entweder machte man Pajé um gut zu träumen, oder man machte Pajé um die Wirkung eines schlechten Traums zu vermindern. Was nicht zwangsläufig heißt, das nur schlechte Träume böse sind. Auf die Bedeutung kam es an. Träumt man z.B., dass man sich die Haare schneiden lässt, wird man seine Jungfräulichkeit in unmittelbarer Zukunft verlieren. Das musste auf jedem Fall schleunigst mit Pajé vermieden werden. War es nicht mehr zu vermeiden, dann lag es bestimmt an dem einen oder anderen Geist aus der umfangreichen Mythologie. Ach nein, das Thema Mythen und Legenden nehmen wir ein anderes Mal dran.
Pajé war nicht nur gut um Gutes zu erreichen, Pajé machte man auch wenn man Jemanden was Böses wünschte. Anschließend wurde eben eine zusätzliche Kerze, um Vergebung bittend, angezündet.
Man lebte damit, man handelte danach und fühlte ein gewisse Magie in der Luft, es war mystisch, denn man redete weniger als man munkelte, eher eine „ich sollte es zwar nicht, aber ich tue es doch“ aufregende Angelegenheit. Ich nahm es nie als selbstverständlich, im Gegenteil, bei solchen Gesprächen und Aktionen fühlte ich mich immer wie eine aufgescheuchte Katze mit dauererregtem Fell!
Nie werde ich vergessen; ich wurde von einer mir nahestehenden Person gebeten, bzw. mir wurde befohlen, ein ganze Tüte mit krummgebogenen und besprochenen Nägel in einem Haus, zu dem ich Zugang hatte, überall zu verstecken. Da mir schon keine Wahl blieb wollte ich aber doch den Zweck kennen. Es drehte sich um ein junges Liebespaar das von den Eltern der Braut aufgelöst wurde. Durch die Nägel würden die jungen Menschen nie mehr mit einem anderem Partner das Glück finden, außer sie kommen wieder zusammen. Sie kamen nie wieder zusammen. Er ist inzwischen ein älterer Mann und hat so viele Versuche hinter sich… alle Gescheitert… auch sie ist ohne eine neue Beziehung und alleine alt geworden. Heute, 41 Jahre später fühle ich mich immer noch schuldig. Doch damals hatte ich nicht die Einsicht und erst recht nicht die Stärke um mich dagegen zu wehren.
Ein anderes Beispiel; unsere Nachbarn, ein schon etwas in den Jahren gekommenes Ehepaar, erwartete endlich den lang ersehnten Nachwuchs. Übrigens ganz liebe Menschen und auch nicht dumm. Ach ja, ich vergaß zu erwähnen, Pajé gehört zu jedem und nicht nur zum dummen armen Hiesigen vom Lande, nein selbst die Gelehrten glauben daran. Ich verrat euch jetzt mal ein Geheimnis; irgendwie glauben wir alle ein wenig daran, weil wir Schiss haben nicht daran zu glauben. Aber jetzt wieder zurück zu dem endlich gesegnetem jungen Eltern… die Tochter war da! Nach so langer Wartezeit, war es für die Eltern unheimlich wichtig, alles richtig zu machen und so kamen sie mehrmals am Tag zu unserer Mutter angerannt um sich einen Rat zu holen. Doch anscheinend reichte das nicht und es musste zusätzlich Pajé gemacht werden. So kam es, dass eines Tages mit Temperaturen in den 40ern, dass Baby eine komische, zu warme, ungewöhnliche und völlig überflüssige Mütze trug. Es war eine Herrensocke! Es war nicht irgendeine Herrensocke, es war eine getragene ungewaschene Socke vom Pfarrer! Es war auch nicht irgendeine getragene ungewaschene Socke vom Pfarrer, es war eine vom Pfarrer mit Weihwasser gesegnete, getragene ungewaschene Socke von sich selbst! Und da ja nichts umsonst getan wird, sollte das auch hier was bewirken, so war die Antwort der Eltern; „der Kopf des Babys ist ein wenig groß und wir hatten den Verdacht dass es sich um einen Wasserkopf handeln könnte und es heißt, die gesegnete und gebrauchte Socke des Pfarrers verhindert den Wuchs, vorausgesetzt das Kind trägt sie ständig. Unsere Mutter erklärte den jungen Eltern, dass das Köpfchen einen ganz normalen Umfang hat und das Kind prächtig gedeiht. Die socke verschwand!
Ein paar Tage später… dieselben Eltern, dasselbe Kind… das Würmchen schrie und schrie, aber komisch war, dass die Mutter nicht wie üblich zur Mutter um Hilfe bittend angerannt kam. Das wiederum beunruhigte unsere Mutter und sie ging rüber. Die junge Mutter war ein wenig verlegen und schämte sich offensichtlich. Nachdem die Unsere bohrte, rückte sie mit der Sprache raus; sie habe gehört, dass wenn man dem Baby die Augen mit Salzwasser auswäscht, würde das Kind genauso schöne blaue Augen bekommen, so wie wir (Ausländer)sie hatten.
Ist Euch aufgefallen wie eng dieser Aberglaube mit Religion zusammenhängt? Und im weitestem Sinne auch mit der Heilkunde? Ja, und genau da vertiefen wir uns jetzt. Wenn der (aber)Glaube hilft. Nehmen wir doch die Kröte, (auf dem Foto übrigens eine echte paraguayische Kröte)eines von vielen, vielen Beispiele, oder besser gesagt als Hilfsmittel. Grundsätzlich heißt es ja; einen Frosch zu töten bringt Unglück. Kein Paraguayer wird man dazu bringen, einen Frosch zu töten. Weil er Schiss hat, die Seele des Tieres könnte sich rächen. Ob er nun daran glaubt oder nicht, aber wenn… na dann doch lieber nicht. Ich erinnere mich, besonders viel später als „damals“, als wir schon Strom hatten und um den ganzen Hof Neonröhren in den Bäumen zur Beleuchtung hängen hatten, kamen die Käfer in Scharen zum Licht. Ein Festessen für die Kröten. Dick und rund haben sie sich abends die Bäuche vollgelaufen undspäter aufs Ohr in Mutter Blumentöpfe zum pennen. Die waren so groß, dass am nächsten Morgen alle Blumen platt waren. Also, Befehl von Muttern, die Frösche mussten in Jutesäcken eingesammelt werden und duzendweise weggefahren. Ich bin zwar gefahren, aber ich weigerte mich die Tiere einzusammeln, geschweige denn sie anzufassen! Es hieß doch immer, wenn du einen Frosch anfasst, werden deine Hände genauso hässlich und warzig wie der Rücken vom Frosch… ja, wir brachten alle paar Tage ein paar Säcke voller Frösche weit weg zu einem Bach.
Doch grundsätzlich ist der Frosch, nicht nur in Paraguay, sonder in ganz Südamerika für seine Heilkräfte bekannt. Übrigens werden jetzt viele Studien darüber gemacht und dokumentiert, denn der Frosch hat ganz seltene und sehr wirkungsvolle antibakterielle Flüssigkeitauscheidungen auf der Haut.
So ist es nicht nur in Paraguay bekannt, dass man die Wundrose mit einem Frosch heilt. Man nimmt einen lebendigen Frosch und streicht ihn leicht über die gesamte befallen Stelle (meistens sind es die Beine), anschließen lässt man den Frosch wieder auf dem Boden los und ob ihr es glaubt oder nicht, der Frosch geht keinen Meter und ist tot! Wenn der Frosch stirbt, beginnt sofort der Heilungsprozess, läuft er davon, kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass es sich nicht um eine Wundrose handelt.
Es heißt auch, wenn eine Frau ein Kind geboren hat, nimmt entweder der Ehemann oder die Schwiegermutter einen frisch gefangenen Frosch und klopft der jungen Mutter damit auf den Rücken um den Milchfluss zu fördern. Spätestens am nächsten Tag, kann die Mutter ihrem Baby erfolgreich an der Brust anlegen, denn der Frosch hat die Milch „losgelassen“ und die Milch durch einen Frosch befördert, nimmt nie ein Ende!
Leider werden die Tiere auch oft benutzt um anderen das Böse zu wünschen. Das sind nicht gerade tolle Leistungen, aber leider wahr. Auch die „Curanderos“ (Naturheiler) nutzen oft die viel nachgesagte Heilkraft der Frösche. Im Grunde könnte man ein ganzes Buch nur über solche Froschgeschichten schreiben.
Schon viel auch das nächste Stichwort; der „Curandero“. Ein Schamane der mit Beten (oder eher „besprechen“ tut), Handauflegen, Kräuter, Rinden, Insekten und Tiere heilt, bzw. bespricht und wahrsagt.
Total aus und mit der Natur, waren und sind zum Teil heute noch, die Helfer und Retter für jedes Wehwehchen bis hin zu ernsten Fällen, sind sie Ansprechpartner Nummer 1! Besonders auf dem Land und für die Armen. Auch unser Vater (selbst Zahnarzt) mied jeden Schulmediziner und lies sich immer nur vom Curandero behandeln wenn er was hatte. Ich muss dazu sagen, er hatte nie sowas wie Erkältungen oder kleine Wehwehchen. Eher Unfälle, wie Klapperschlangenbiss, Vogelspinnenbiss, und Leistenbruch. Er hatte so gut wie nie ein Schmerzmittel genommen, erst als er an Lungenkrebs erkrankte und letztendlich auch daran starb.
Lange schleppte er sich er sich mit einem Leistenbruch herum. Ich erinnere mich, er band sich immer einen sogenannten „Bruchhaltergürtel“ um. Das Ding sah irgendwie wie ein Brustrevolverhalter aus. Aber her hatte ja nicht seinen Leistenbruch an der Brust… hi hi, da fällt mir ein; wisst Ihr wie Leistenbruch auf Japanisch heißt? „Knacki-knacki-nah-bei-sacki“. Ja, auch um seinen Leistenbruch zu heilen ging er zum Curandero. Die Geschichte muss ich unbedingt erzählen, sie hat mich sehr beeindruckt.
Er musste wiederholte Male zu seinem Naturheiler der ihn mit Gebete (mit dem Leistenbruch reden) und Tees vorbereitete, dann kam der große Tag, es musste ein besonderer Tag sein, doch das weis ich nicht mehr, ich weis nur das es an einem Freitag sein musste. Vorher sollte er einen gewissen baum finden, und zwar ist es ein Schmarotzer-Baum gewesen. Sogenannte wilde Feige, der Samen wird von den Vögel gefressen und auf einen Ast eines „Wirtsbaumes“ ausgeschieden. Dort wächst die Pflanze heran und die Wurzeln schlingen und verbreiten sich um den Wirt, bis dieser eingeht. Hier ein Foto eines solches Baumes.
Mein Vater fand so einen Baum und an den besagten Freitag musste er noch vor Sonnenaufgang da sein. Mit der aufgehenden Sonne im Rücken musste er seinem linken Fuß waagerecht an dem Baum stellen, während er auf das rechte Bein stand. Mit einem spitzen Messer musste er die Konturen des Fußes in der Rinde des Schmarotzers ritzen und das war's auch. Sein Leistenbruch ist wieder zugewachsen. Erzählt man es einen Schulmediziner, der wird abstreiten, dass sowas möglich ist. Doch mein Vater war geheilt.
So gibt es keine einzige Pflanze in Paraguay, die nicht irgendwas heilt oder zumindest gut tut. Als ich in Januar in Paraguay war, habe ich mir unter Anderem auch ein Buch über die Heilkraft der Pflanzen und dessen Anwendungen mitgebracht. Es ist wirklich eine interessante Lektüre über Pflanzen, Kräuter und Gemüse die wir fast alltäglich finden, leicht erklärt und gut bebildert. Denkt jetzt nur nicht ich wird jetzt so eine Art Kräuterhexe, aber interessant ist es allemal! Das war‘s für heute und vorläufig auch mein letzter Beitrag vor meiner Reise. Erst in Juni geht es weiter mit Erzählungen aus „Damals in Paraguay“. Wer mich zu sehr vermisst, kann hin und wieder was in „My New Life In Canada“ von mir lesen.
Ich grüße Euch herzlich und wünsche einen schönen Frühling, bzw. einen schönen „Herbst“ in Paraguay!

Dienstag, 29. März 2011

Schwestern

Das ist meine Schwester, die (Jule) Isolde.

Wir zwei in der damaligen "María Auxiliadora" Schuluniform.
Ich konnte mir die Jule nicht aussuchen, umgekehrt konnte sie es auch nicht. Wir stammen nun mal aus demselben Zuchtstall. Wir gehörten zusammen weil wir uns die Eltern teilten, doch unterschiedlicher ging’s nicht. Besonders was den einzelnen Charakter angeht.
Was passiert meist zwangsläufig wenn zwei Schwestern in zwei unterschiedlichen Richtungen denken und handeln? Sie werden neidisch! MIAU!!!
Oh ja! Aus Eifersucht, Neid und Missgunst… formt sich hin und wieder schnell ein kleines dunkles Wölkchen zwischen Kindern. Ist ja auch alles ganz normal.
Als ich noch ein Kleinkind war, (oh Gott, ist das lange her!) ging meine große, fast vier Jahre ältere Schwester schon in die Stadt zur Schule. Ich habe sie praktisch nur in den drei Monaten Sommerferien gesehen.
Ich meine, bei allem was Recht ist, wir hatten auch hin und wieder liebevolle, lustige, oder bemerkenswerte Momente miteinander verbracht. Momente, an die wir uns immer wieder gerne erinnern und die alle mit „Weisst Du noch…“ anfangen.
Als ich acht war, (oh Gott, das ist ja genau ein halbes Jahrhundert her!) sind wir nach Villarrica gezogen und dort zur Schule gegangen. Erst dann, kam es zu einem Zusammenleben zwischen uns Geschwistern. Jule hatte schon ein paar Jahre „Stadterfahrung“, was damals mehr oder weniger in Gemeinschaft mit den Hiesigen zu leben und nicht mehr in der alten deutschen Kolonie. Sie konnte gut Spanisch sprechen, somit war sie mir nicht nur vom alter überlegen. Um was von ihr zu lernen, klebte ich wie eine Klette an ihr. Das wiederrum brachte sie zur Weißglut… ich war die peinliche Nummer an ihrer Seite. Sie versuchte mich auszutricksen, bestechen oder einfach nur gut zu reden. Ich meinerseits mit betteln, Versprechungen nicht peinlich zu sein, in der Schule sie nicht auf Deutsch anzureden, ihre Hausarbeiten abnehmen…
Ich muss es einfach mal los werden, um was ich sie als Kind, als junges Mädchen, als junge Frau immer und am meisten beneidet hatte.
Sie war klug und konnte alles. Dass sie dabei gemogelt hat, kam mir mit meinem angeborenen und gut weitergepflegten Gerechtigkeit- und Wahrheitssinn überhaupt nicht im Sinn.
Sie war sehr beliebt und hatte Freundinnen. Ich hatte in den ersten paar Jahre in der Stadt, keine Einzige. Erst später hatte ich eine Freundin. Diese heiratete mit 14 und war auch wieder weg.
Ich tat mich schwer mit Freundinnen, denn ich war sehr schüchtern und hatte zu der Zeit auch kein Talent, das dazu nötige „HUI-…“ „AH-…“ und „EIJAJEI-Geschiss“, was bei den jungen Mädels in der Stadt ein Gesellschaftliches Muss an der Tagesordnung war. Mich schüttelt es heute noch, wenn ich an das „Gedichte Vortagen“ in der Schule denke… durchgefallen bin ich jedes Mal! Ich hasste Gedichts stunden! Ich konnte sie einfach nicht so aufsagen wie alle anderen, mit übertriebene Mimik, Gesten und eine erfordernde Biegung und Verrenkung des gesamten Körpers um jedes einzelne Wort zum Ausdruck zu bringen. Ich stand einfach nur da und rasselte das halb gelernte (habe nie was ganz gelernt) Gedicht herunter, hatte Schweißausbrüche und jede Menge verbales Gestolper. Mit sowas will man doch nicht befreundet sein, oder?
Kaum konnte ich ein wenig Spanisch, habe ich meine Klassenkameradinnen beim abschreiben verpetzt… ja, ich weiß… Buuuuhhhhhhhhh! Ich tat es doch nicht weil ich fies sein wollte, sondern weil es sich nicht gehörte das Abschreiben.
Ich beneidete meine Schwester, weil sie so Frühreif war. Sie war aufgeklärt, obwohl, zu dem Zeitpunkt wusste ich nicht einmal, dass es so ein Wort gibt, geschweige denn was es bedeutet. Ich konnte nur spüren, dass was in der Luft hing, was Erwachsenes, was tabu für mich war oder sein sollte. Sie las und versteckte sehr ordentlich Zeitschriften und schrieb viel in einem Heft. Sie tuschelte mit unserer Mutter und wurden stumm wenn ich dazu kam. Überhaupt konnte sie immer viel besser mit unserer Mutter als ich.
Sie hatte schon sehr früh einen Freund. Mir wurde immer nur beigebracht, dass Männer und Jungs mit allem was an ihnen dran ist, „Pfui“ und mit bösen Absichten gespickt sind.
Sie durfte so vieles was ich nicht durfte, ich war immer zu klein, zu jung, zu dumm, blöd, etc.
Sie war immer viel, viel hübscher als ich und hatte immer so schöne Klamotten. Selbst viel später, als wir schon erwachsene, dem Alter nachrennende reife Frauen waren und wir uns hin und wieder zu einer familiären Feier trafen, fand ich ihren Outfit den meinen weit überragen.
Sie hatte früh geheiratet und als ich quasi noch ein Kind war, hatte sie schon eigene Kinder. Wie sollte ich zu diesem Zeitpunkt dieses Image überhaupt noch toppen, das sich inzwischen auch noch vermehrt hatte!
Ach liebe Jule, ich könnte hier noch so viel schreiben, doch das schöne ist, egal wie lang oder kurz diese Liste ist, sie gehört zur Vergangenheit. Wir mussten erst die Fünfzig hinzugehen, als wir mal darüber geredet haben und dabei lachend festgestellt, dass es dir nicht anders ging. Was hätten wir uns erspart, doch anderseits, ist es ganz gut so gewesen. Jeder muss einen gewissen Weg gehen um vieles im Leben zu begreifen. Eines weiß ich heute mit Sicherheit, ich bewundere Dich sehr, was Du alles durchgemacht hast und woher Du diese Kraft hast, doch dein Leben ist nicht das Handbuch für das Meine.
Heute bin ich froh, dass Du nicht nur meine Schwester bist, sondern Dich als einen ganz besonders lieben und wertvollen Menschen in meinem Leben zu haben.
Zu deinem Geburtstag heute, der 30. März, möchte ich einfach nur „Danke“ sagen und wünsche dir vom ganzen Herzen, alles erdenklich Gute und Liebe!
Deine kleine Schwester

Freitag, 4. März 2011

Eine ganz besondere Frau

Über sie gibt sehr viel zu schreiben, da weis ich nicht wo am besten anfangen. Ich versuche es mal mit den Bildern. So nach und nach. Sie ist die älteste Schwester unserer Mutter und somit ganz offiziell unsere Tante. Doch vom Herzen, eher unsere „Second Hand Mutter“ oder „Ersatzmutter“. Ich will jetzt hier nicht unterstellen, dass sie sich in irgendeiner Form dazu aufgedrängt hätte. Ach nee, das war nicht nötig. Es ist einfach ihre anziehende Art, und in ihrer Nähe zu sein, fühlt sich gut an.
Ich muss darauf hinweisen, dass was ich hier schreibe, entsteht aus meiner eigenen Sicht heraus. So war sie für mich damals schon in Paraguay der liebste Besuch, wenn es hieß; die Tante Sofía kommt! Als ich ein Kleinkind war, bedeutete sie für mich; Fröhlichkeit, Freude, Spaß, Aufregung oder einfach nur „Juhuuuuu“. Damals war es höchstens einmal im Jahr möglich sich zu sehen. Bis nach Encarnación war es eine, oder mit meinem Vater wegreiten, war schon eine Weltreise. Ich hüpfte in die Gegend herum und konnte den Moment kaum erwarten. Heute geht es mir immer noch so, nur das mit dem hüpfen unterdrücke ich ein wenig und überlasse es ganz gelassen meinen Herz und Seele um die Wette zu springen. Es verringert in meinem Alter auch die Verletzungsgefahr.
Später als ich zum jungen Mädchen heranwuchs, kam noch eine enorme Bewunderung hinzu. Besonders ihren Stiel und ihre Eleganz bewunderte ich! Nein, sie war niemals eingebildet, hochnäsig oder arrogant. Hatte auch sicher viel damit zu tun, dass sie Schneiderin war. Sie hatte das gewisse Etwas.
Als ich an Jahren gewann und selbst schon Kinder hatte, kam dann noch meine Bewunderung für ihre ehrliche, direkte und menschliche Art. Sie wusste Ärger zu schlichten und führte sich selbst nicht wie eine Zankhenne auf. Besonders beeindruckt war ich, dass sie dazu stand, nicht alles zu können. Doch jetzt möchte ich Euch erst mit der Bildergalerie bekannt machen.

Viel habe ich schon über die Großeltern Dreyer geschrieben. Jetzt ist es an der Zeit über den Pretzels zu schreiben.
Hier sind unsere Großeltern Mütterlicher Seitz; Emil Pretzel und Frieda Pretzel geb. Heinemann mit ihr ersten Kind: Sofía Fanny. Meine Güte, dieses Bild ist über neunzig Jahre alt! Tante Sofía ist am 19.07.1919.Mit dieser Lancha (Boot) sind sie von Argentinien nach Paraguay auf den Paraná hochgeschippert. Der Mann mit dem weißen Hemd ist der Opa Emil. Oma Frieda sitzt im Boot. Die Kinder dem Alter nach; Sofía mit den Blumen. Emilio ganz rechts. Alex, der blonde zwischen den Eltern und die kleine Blonde neben ihre Mama, ist unsere Mama.Die vier Erstgeborenen, schön herausgeputzt mit Schuhe, Strümpfe und Blümchen. Es waren einst acht Geschwister. Hier sind die Mädchen abgelichtet. Sitzend, Sofía. In der Mitte unsere Mutter. Links die Erika und rechts die Klara.Unsere Mutter ist schon im Jahre 1992 verstorben. Was ist aus den anderen drei feschen Mädels geworden? Sie sind immer noch fesch und erfreuen sich bester Laune!Vier Söhne, nach Alter und von links nach rechts; Emilio, Alex, Arwed und Arnold. Der Älteste und der Jüngste, sind auch leider schon verstorben. Im zarten Adolezenzalter, feierten Sofía und Arwed Böttger ihre Verlobung. Tante Sofía hat mir mal erzählt. „der Kerl ist mir immer nachgestiegen und hat mir den Hof gemacht, dabei mochte ich ihn überhaupt nicht leiden mit seiner vorgeschobenen Karre (sie meinte damit sein Kinn), aber dann habe ich mich doch verliebt.“
Dieses Foto ist es wert draufzuklicken um es zu vergrößern. Ich finde der junge Verlobte sieht total wie Charlie Chaplin aus. Fehlt nur der Hut und Stock. Das meine ich aber ganz positiv! Ich bin immer ein großer Fan von Charlie gewesen und ich mochte unseren Onkel Arwed sehr. Er konnte so schön auf der Quetschkomode spielen! Wenn erst verlobt, wurde meist auch bald geheiratet, sowas wie erst mal ein paar Jahre testen, gab’s damals nicht! Ein Familienhochzeitsfoto. Dabei sind die Großeltern und Eltern, sowie die bis da dagewesenen Geschwister.Und ein Hochzeitsgruppenfoto! Tante Sofía als junge Frau. Nicht wegen einer Ähnlichkeit, für mich war sie immer so eine Mischung zwischen Jacky Onassis und Sofía Loren.Die junge Familie bei uns zu Besuch. Tochter Carmen und Sohn Hugo auf den Koffern. Die Erwachsenen von links nach rechts; O. Arwed, T. Sofía, unsere Mutter schwanger mit Norberto. Oma, Opa und Papa Dreyer. Mit dem Pferd ca. 5Km zum Bus. Hauptsache es mussten keine Koffer geschleppt werden.Zu einem späteren Zeitpunkt wiedermal zu Besuch und mit den zwei Jüngsten. Auf mein Schaukelpferd der Raúl und rechts auf dem Holzbock der zweitjüngste; Rubén. Wir vier Kinder sind hier schon komplett. Tante Liesel und Käte sind auch dabei.Die Ära der Farbfotos bricht ein! Neben der Schneiderei, konnte Tante Sofía auch gute und schöne Hochzeitstorten backen. Hier entsteht mit Hilfe meiner Cousine unsere Hochzeitstorte am 27.12.1975.Fünfzig Jahre Ehe und es gibt es auch eine Torte! Goldene Hochzeit von Sofía und Arwed. Beim Anschneiden der Torte mit Tochter Carmen.Nicht lange nach der goldenen Hochzeit, wurde Onkel Arwed sehr krank. Ich kann mich erinnern, ich war zu der Zeit kurz in Paraguay und auch dort zu Besuch. Er wurde nach Posadas Argentinien gebracht. Als ich ihn besuchte, lag er reg- und- wortlos im Krankenbett und hatte ein weißes, zum Band zusammengelegtes Tuch vom Kinn zum Kopf hoch gebunden (als hätte er Zahnschmerzen). Ich fragte; „Tante, warum hat man ihm das Gesicht so umbunden?“ Da sagte sie; „das war die Krankenschwester, weil der Arzt meint er wird die Nacht sterben und dann soll sein Mund nicht so offen stehen bleiben.“ …aha… man/ich lern doch nie aus. Das Tuch musste wieder ab, er lebte weiter. Er durfte wieder Nachhause, am Anfang ging es noch mit dem Rollstuhl, doch bald lag er nur noch im Bett. Elf Jahre und drei Monate war er ein Pflegefall und Tante Sofía hat ihn Tag und Nacht gepflegt. Sie konnte manchmal keine halbe Stunde durchschlafen, weil er wieder rief. Sie hat es sich auch nicht nehmen lassen, selbst Angebote von ihren vier Kinder, hat sie nur im äußersten Fall angenommen und das auch nur ein paar Stunden.
Zum Pflegen gehört aber auch alles selber machen. Nix da vom wegen Einwegwindeln! Nein sie sammelte alte Trapos (Lappen) und wusch sie jeden Tag alle wieder mit der Hand aus. Über elf Jahre kein eigenes Leben! Sie tat es ohne zu jammern und vergaß nie zu lachen und zwischendurch war immer noch Zeit für ein Schwätzchen, egal wer zu Besuch kam. Sie hat die Situation glänzend gemeistert bis ihr Mann seinen letzten Atemzug tat, obwohl sie früher immer behauptete, dass sie sowas niemals könnte.
Dieses Foto stammt aus der Zeit.Wie eine Wildkatze kann sie manchmal auch ihre Krallen zeigen, ganz ohne Hemmungen den einen oder anderen beim Vornamen nennen!…doch im Grunde immer sanft, gutmütig und sehr liebenswert!Erst als Witwe konnte sie wieder ihrer Leidenschaft, das Reisen nachgehen. Sie fliegt regelmäßig drei bis vier Mal im Jahr nach Sao Paulo zu meinen Bruder. Sie macht jeden Geck mit und hat auch schnell begriffen, dass obwohl sie gut gehen kann, ist es am Flughafen immer besser „die alte Frau“ heraushängen zu lassen. Sie wird im Rollstuhl bis zum Flieger gefahren und muss in keine Schlange stehen!
Vor ein paar Jahren, als sie sehr früh am Morgen alleine zum Bus musste, fragte ich sie, ob sie denn keine Angst hat, alleine die fünf Straßen bei noch Dunkelheit zu gehen. Da sagte sie zu mir; „Schau her. Hier unter meinem Schal halte ich diesen Knüppel versteckt (sie hatte sich am Vortag einen Baseballschläger ähnlichen Knüppel geschnitzt). Dann habe ich eine Dose mit gemahlen Pfeffer in meiner Tasche, die streu ich dann meinen Angreifer in die Augen.“ Darauf fragte ich nochmal; „und wenn der Angreifer dir das wegnimmt?“ Ihre Antwort darauf;“ dann pack ich ihn unten so ganz fest und dreh das mal langsam…“ Das ist Tante Sofía!
Im vergangenen Oktober, kam sie nur knapp ein Hirnschlag davon. Hat sich prächtig erholt und tanzte munter auf der 70. Geburtstagsfeier ihres Sohnes!Sie ist für jeden Spaß und Witz zu haben……wovon ihr jüngster Sohn Raúl, eine dicke Portion geerbt hat.Ich will nicht behaupten, dass sie für mich sowas wie ein Vorbild oder Idol ist, denn ich bin ich und meinem Alter weis man das auch. trotzdem bin ich sehr froh und stolz, dass Teil ihres Blutes auch in meinen Adern fließt. Ich bewundere sie und verneige mich vor so einer ganz besonderen und großartigen Frau!Danke liebe Tante Sofía, für die schönen gemeinsamen Stunden, die wir kürzlich verbringen konnten!
Liebe Grüße!

Donnerstag, 24. Februar 2011

Der Tod

Eigentlich ist das keine „damals“ Geschichte, der Tod ist immer gegenwärtig und wird nie aussterben.

Schon im jüngsten Kindesalter hat mir mein Vater viel über den Tod beigebracht. Vor allem, dass es das natürlichste der Welt ist und jeder mit seiner Geburt seinem eigenen Todesurteil unterschreibt. Auch über meinen eigenen Tod, habe ich schon sehr viel drüber nachgedacht. Nein, bitte keine falschen Schlüsse ziehen, so meine ich es nicht. Was ich damit sagen will, ich habe keine Angst davor. Zugegeben, bis zu diesem Zeitpunkt. Vielleicht ändert sich das, wenn ich mal ernstlich krank bin, ich weiß es nicht. Doch ich kann mir vorstellen, dass es schön sein muss, nach einem gelebten Leben in einer ewigen Ruhe einzudringen.

Allerdings musste ich mit den Jahren an Lebenserfahrung gewinnend erkennen, dass er leider nicht immer so ganz natürlich ist und den Einen oder Anderen viel zu früh aus dem Leben reißt.

Ich sah erst drei tote Menschen in meinem Leben, doch ist es ein Himmel großer Unterschied, im welchem Alter sie gegangen sind. Da hilft die lehrreiche Unterstützung von meinem Vater auch nicht. Ich gebe mich ja ab mit dem Tod und akzeptiere ihn. Manchmal sogar ein wenig zu sehr gefühlsunbeteiligt, weil es so ist und ich es nicht ändern kann. So war der Anblick meines toten Opas, zwar traurig und schmerzlich aber auch eine Selbstverständlichkeit. Er war alt, aus, basta. Doch die anderen zwei, von mir gesehenen Toten, waren einfach nur unnötig und grausam, erst Recht für die Hinterbliebenen. Es waren keine Verwandte, es war ein Kind als ich selbst noch Kind war und einen Jugendlichen, doch mein Unterbewusstsein ließ diesen Anblick nie los, es brachte (bringt) ihn immer wieder als grausamer Stoff meiner Träume.

Als ich kürzlich in Paraguay war und zum Friedhof ging, las ich am Eingang des deutschen “Waldfriedhof“ in Independencia, auf ein Schild;
„Mein Herr, ich verstehe Dich nicht, aber ich vertraue Dir“.

Reicht das um sich zufrieden zu geben? Um den Schmerz besser zu verkraften? Wenn es mir schon so sehr nahe geht, wie müssen sich erst dessen Angehörigen fühlen? Ist es deshalb ein Trost, eine Grabstätte des geliebten Menschen zu haben? Was mich betrifft, ist es mit meinen Kindern besprochen, dass ich einmal eingeäschert werde und dass kein Grab existieren soll. Was mit der Asche geschieht, ist mir eigentlich ziemlich egal, einfach in der Natur… kein Stein, kein Kreuz, keine Gedenktafel… ich brauch es nicht und will auch Niemanden über meinen Tod hinaus verpflichten mein Grab zu pflegen. Angehörige und Freunde, die mich mochten, können mich jederzeit besuchen oder an mich denken, denn in deren Herzen werde ich doch hoffentlich immer bleiben dürfen.

Hee, ich weiche schon wieder ab. Ist ja die Zukunft und nicht „Damals…“ trotzdem, hab‘s nun mal gesagt/geschrieben.Warum schreibe ich eigentlich darüber? Das haben die „Löcher“ auf den Fotos herbeigerufen. Wenn ich ein Foto von früher betrachte, entdecke ich immer öfter die sogenannten „Löcher“. So nenne ich die Menschen auf den Fotos, die gar nicht mehr da sind, die schon längst verstorben sind. Es werden immer mehr… auch sowas, ist einem früher nie aufgefallen. Ein Friedhof war eher ein Park oder so... Wie war das nun „Damals in Paraguay“ wenn jemand verstorben ist? Daran hat sich eigentlich nicht viel verändert. Vielleicht ein wenig Infrastruktur, aber der Ablauf selbst nicht. Das erste war; die Nachbarn avisieren (wir, die Deutschen in Paraguay, hatten die Angewohnheit, aus spanische verbos, deutsche „Tun Wörter“ zu basteln. Man nahm das spanische Grundverb, amputierte seine Endung ar, er, ir und setzte ein „ia, ian, ieren, iert“, dran und schon war es Deutsch! Z.B. avis(ar)ian = benachrichtigen.

Ein Beispiel: „Met(er)ia (=einmischen) Dich nicht, in was Dich nicht import(ar)iert (=angehen)“ der ganze (für uns) deutsche Satz: „metia dich nich in was dich nich importiert“. Eine eigene Sprache, die nur die verstehen, die Spanisch und Deutsch können, und vor allem Phantasie haben!

Also weiter wie es damals war. Die Nachbarn wurden benachrichtigt. Die wiederum benachrichtigten ihre Nachbarn und so wurde die gesamte Kolonie innerhalb ein paar Stunden über den Tod informiert. Meist zu Pferd um die Entfernungen schneller zu schaffen. Verwandte die an einem weiteren Ort, Stad oder Land lebten, bekamen ein Telegramm.

Der/die Verstorbene wurde im Hause aufgebahrt. Meistens wurde eine Tür dafür ausgehängt, die man auf zwei Böcke legte und provisorisch zur Aufbahrung der des Leichnams diente. Ein weises Leinentuch, alles was der Garten an weiße Blumen hergab (meistens Jasmin, er duftete sehr intensiv und übertönte so den unangenehmen Geruch), ein paar Kerzen, wer eines besaß, hängte ein Kruzifix an der Wand. Hingegen wurden alle bunten Bilder, Kissen oder sonstiges Fröhliches aus der Stube gebracht. Zu der Zeit gab es eh wenig „bunter Luxus“.

Inzwischen sind auch die ersten Trauergäste eingetrudelt um nicht nur Ihre Anteilnahm sondern auch zum helfen oder zumindest ihre Hilfe anzubieten. Der Leichnam musste klimabedingt innerhalb von 24 Stunden unter der Erde sein. Bei schlechtem Wetter war das eine Schinderei, alleine zum Friedhof zu kommen.

Ist ein älterer und kranker Mensch verstorben, kam der Sarg vom Schreiner ein wenig zeitiger, eine gewisse Vorarbeit mit Abnahmegarantie war ja auch schon irgendwie voraus zu sehen… ein wenig so wie im alten Western. Niemand verfügte über so viel und genaue „Menschengröße-schätz-Begabung“ wie ein Sargmacher.

Der Ochsenkarren wurde mit Palmen Blätter geschmückt. Später war es der Traktoranhänger. Hatte man selbst keinen, so war es eine Selbstverständlichkeit, dass der nächste Besitzer einsprang. Nicht nur die Angehörigen stiegen hinten drauf, auch wurden unterwegs, mit Blümchen in der Hand auf der Straße wartende Trauergäste, aufgeladen und mitgenommen.

Soweit ich mich zurück erinnern kann, war es immer der Siegmund Risst, der die Gräber aushob. Ich nehme mir das Recht heraus, an dieser Stelle, einen Menschen beim Namen zu nennen. Siegmund war ein Mann, den man nicht unbedingt als einen Glückspilz bezeichnen kann. Seine sehr bescheidene Existenz und noch bescheidener Selbstbewusstheit, führten wohl dazu, dass er ein ewiger Junggeselle blieb. Er lebte ziemlich zurückgezogen mit seiner Mutter in einer bescheidenen Behausung. Auch er bleibt ewig in meinen angenehmen Erinnerungen. Als ich Kind war, sind mein Vater und ich, hin und wieder zu den Risst geritten. Meistens ging es um einen Kuhhandel, als Bezahlung für geleistete Zahnarbeiten Seite meines Vaters. Er war ein sehr ruhiger Mensch und verhielt sich immer unauffällig und weit im Hintergrund. Ging man auf ihn zu, strahlten seine großen Augen wie ein Kind vor einem Osternest. Ich werde nie vergessen, als er zu unserer Hochzeit, mit Stolz, mir ein in Zeitungspapier eingewickeltes Geschenk überreichte. Er strahlte wieder was seine großen Klubschaugen hergaben. Eingepackt waren zwei einfache weiße Suppenteller. Von all den vielen, vielen Geschenken (Immerhin waren es ca. 750 Gäste), werde ich diese zwei Suppenteller nie vergessen. Ich habe tatsächlich geheult, als wir eine Wochen später zurück nach Deutschland flogen und aus Gewichtsgründen die Teller bei meinen Eltern zurückließen.

Siegmund machte seine Arbeit bei jedem Wetter, auch als er schon alt war und seine Mutter längst verstorben, nur einmal unterlief ihm ein Fehler. Es war als unsere Mutter dort begraben wurde. Da sie in Berlin verstorben ist, wurde sie dort eingeäschert, aber in Paraguay begraben. Siegmund konnte nicht verstehen was eine Urne (es war die Erste) ist. Trotz mehrfacher Erklärung, hat er ein Grab für einen Sarg ausgehoben. Er war auch nur ein Mensch, aber er war ein guter Mensch und die einzige Ehre die er zurückbekam; er musste nicht sein eigenes Grab schaufeln. Q.E.P.D.

Hier noch eine kleine Geschichte zum schmunzeln: Mein Opa sagte immer; ich verlange von Euch, für dem Fall, dass ich an einem natürlichen Tode sterbe, Ihr mir die Pulsadern aufschneidet. Seinen Wunsch keimte durch einen Fall… ich kann nicht mehr sagen um wem es da ging… doch er erzählt von einem Todesfall der gar keiner war. Zwar soll da auch ein Älterer, der gerne und tief ins Glas schaute, verstorben sein. (Nennen wir ihn mal „Fritz“). Als Fritz aufgebahrt auf der „Tür“ lag und seine „Freunde“ (inklusive mein Opa),ihn mit Schnaps zuprostend die letzte Ehre erwiesen, hob Fritz ganz langsam die Hand und stotterte mit leiser und hauchender Stimme; „ge-ge-gebt mir… auch ei-ei-einen“! Fritz war nur scheintot und kam gerade wieder zu sich.

Von dem Tag an, traute mein Opa dem Tod nicht mehr! Doch zur Klarheit; als er starb, schnitt niemand seine Pulsadern auf, denn er wurde vom Arzt als wirklich tot erklärt!

Das alte Familienbild vom letzten Eintrag (Weihnachten)… sind auch schon vier „Löcher“ zu erkennen, ersetzt durch vier Grabsteine. Es ist die Kette des Lebens, neue Glieder kommen hinzu, Alte bröckeln ab...

Unsere Großeltern und unsere Eltern, im Herzen anwesend! Dieser Eintrag ist ganz besonders meine Geschwister gewidmet, die nicht oder nur ganz selten die Möglichkeit haben, die Gräber unsere Eltern und Großeltern zu besuchen!

Ganz herzliche Grüße!