Warum gibt es diesen Blog?

Darauf gibt es ein paar Antworten: seit Oktober 2008 führe ich meinen Blog „My New Life In Canada“. Nachdem ich da hin und wieder Einträge über mein Leben in Paraguay eingestellt habe, bekam ich viele Mails, Kommentare und Telefonate mit der Bitte, weitere Beiträge über diese Zeit zu schreiben.

Obwohl es genauso mit meinem Leben zu hat, passt es aber nicht unbedingt zwischen die Berichte von meiner neuen und jetzigen Zeit in Kanada.

Dazu kommt, dass aus dieser schicksalhaften Zeit der Einwanderer in Paraguay von Anfang 1900, sehr wenig niedergeschrieben wurde. Die Älteren, die es miterlebt haben, sind leider schon verstorben.

Doch mein wichtigster Beweggrund für diesen Blog ist, das Erlebte von damals an meine Kinder und Enkel weiterzugeben. Sollten sie irgendwann wissen wollen, wie es damals war, müssen sie sich keine Vorwürfe machen, den Zeitpunkt danach zu fragen, verpasst zu haben.

Genau das ist mir passiert. Als ich jung war, interessierte es mich nicht. Ich fand die Geschichten aus der alten Heimat und die des neuen Aufbaus in Südamerika langweilig und nervig.

Ich war Kind und wollte Kind sein. Als ich erwachsen wurde, hatte ich meine eigenen Träume und Verrücktheiten im Kopf. Dann hatte ich mein eigenes Leben und meine eigene Familie.

Später wollte ich es wissen, doch die Großeltern waren längst verstorben, mein Vater auch und meine Mutter war von mir zu weit entfernt.

Bestimmt habe ich im Leben viele Fehler gemacht. Anstatt darüber zu jammern, betrachte ich es als eine Lehre und versuche, es in Zukunft besser zu machen.

Doch würde mir das Schicksal einen einzigen Tag meiner Jugend zurückgeben, würde ich ihn mit meinem Großvater „Opa Dreyer“ verbringen und ihm pausenlos Löcher in den Bauch fragen!

Diesen Blog widme ich meinen Kindern

Sonja A. McGill und Stephen J. Bennett.


„Ein niedergeschriebenes Wort, wird durch seine Veröffentlichung zu einem eigenen Leben erweckt“.

Freitag, 29. Oktober 2010

Kinderarbeit

Das klingt irgendwie krass, obwohl es zu der Zeit selbstverständlich war und niemanden geschadet hat.

So möchte ich es doch lieber als „Sinnvolle Zwangsbeschäftigungstherapie für Minderjährige und Kleinkinder“ nennen.

So war unsere Beschäftigungen auch meistens unser Zeitvertreib, bzw. als Spielersatz, in anderen Worten, wir konnten dankbar sein, Kleinholz in der Weide sammeln zu müssen, denn so hatten wir auch gleich Stöckchen zum spielen, eine Wiese zum rennen, usw.… wenn Ihr wisst was ich meine.

Ich beklage mich nicht! Im Gegenteil, so habe ich gelernt Dinge anders wahrzunehmen, zu schätzen und mich über Kleinigkeiten zu freuen. Vor allem, das nicht immer alles schön ist, was erledigt werden muss. Aber ehrlich, damals empfand ich das nicht so. Oder könnt Ihr euch vorstellen als 4 oder 5jähriges Kind Begeisterung zu zeigen, morgens die vollen Nachttöpfe raus zum Klo bringen und endleeren ohne sich die wohlriechende, goldene Flüssigkeit überzuschütten? Dann die Töpfe auswaschen und schön ordentlich, mit der Gosche nach unten, wieder unter den Betten stellen?

Da waren kleine Arbeiten wie auf dem Stuhl stehen um Kaffee zu mahlen, schon eher langweilig und ätzend.

Diese Kaffeemühle gehört zu unseren aktuellen kanadischen Haushalt. ich hatte leider keine Fotos von Damals.

Es gab auf dem Land immer und für jedem was zu tun. Später werde ich mehr darüber schreiben, doch mehr unter der Rubrik; Erlebnisse oder so. Es soll ja nicht so rüber kommen, als hätten wir eine schlechte Kindheit gehabt. Die Zeit war eben eine Andere.

Systematisch bekam jeder seine Aufgaben, was aber nicht heißen soll, dass die Älteren nicht hin und wieder die Kleineren als „Assistenten“ mitnahmen. Aber natürlich erst wenn die Kleineren darum bettelten… Auch damals kamen meine Geschwister schon auf den cleversten Tricks die bei mir volle Wirkung zeigten. Hab ich schon mal erwähnt, dass ich so gutgläubig bin…?

So mussten z.B. die zwei Mittleren, Manfredo und Isolde, nach dem Mittagessen das Geschirr spülen. Es gab keine Spülmaschine, logo! Aber es gab auch nicht sowas wie einen Waschbecken oder gar fließendes Wasser. Das Wasser musste vom Brunnen gepumpt werden. Heißes Wasser befand sich im Kessel auf dem Holzofen. Man stellte zwei Blechschüsseln auf den Tisch und füllte Wasser rein. Ein Waschlappen, den man nicht im Laden erwerben konnte, war meistens eine alte ausgediente und ursprünglich selbstgenähte Baumwolldamenunterhose. Heutig nennt man sie „Slip“, ich weiß aber von was ich rede, es waren früher wirklich „Unterhosen“.

Warum eigentlich eine Unterhose und nicht ein anderes ausgedientes Kleidungsstück? Ganz einfach, aus einem anderen alten und größeren Kleidungsstück, konnte man immer noch ein neues, kleineres Kleidungsstück herstellen. Nur ausgediente Unterhosen waren gut und keine Verschwendung für den Abwasch und Hausputz.

Spüli… gab’s auch nicht, nur Hundeseife. Die konnte man kaufen. Das waren so ca. 30cm x 8cm x 33cm lange und stinkende Seifenstangen. Die benutzte man für alles was zu waschen war. Wäsche, Geschirr, Boden schrubben und bevor es die begehrte „Riechseife“ gab, auch für die Körperhygiene. Dann später weiterhin für die Füße. Es war eine Verschwendung Riechseife für die Füße zu benutzen.

Übrigens; die „Riechseife“ war in meinem Kindesalter ein begehrtes Geburtstagsgeschenk.

Aber erst mal zurück zum Abwasch.

Manfred und Jule hatten wieder eine glänzende Idee ausgeheckt um mich wieder zu verarschen. Ist ja auch verständlich, zwei Fliegen mit einer Klappe… das Miststück was heimzahlen und lästige Arbeit delegieren!

Nachdem sie sich eines Tages besonders beeilten und ganz ruhig den Abwasch erledigten, erzählten sie mir, die Engel hätten es gemacht. Sie mussten nur ganz still sein und zusehen wie fix die Englein für sie abwuschen.

Wow… da war ein Kind wie ich total imponiert und sowas von neidisch… ich bettelte meine Geschwister an, am nächsten Tag den Abwasch zu machen. Gesagt getan! Nach dem nächsten Mittagessen, Eltern wie üblich hingelegt für ihre Siesta. Ich durfte die Engel sehen! Wow… ich war so aufgeregt und es war nicht mal Weihnachten… echte Engel…!

Meine Geschwister verschwanden, ich blieb mit einem Berg Abwasch allein in die Küche. (Übrigens, alle Arbeiten die ich mit meinen dünnen langen noch zu kurzen Beinchen nicht erreichen konnte, stand ein Schemel bereit). Ich verhielt mich ganz still und wartete… und wartete, aber es kamen keine Engel. Wollte aber nicht als benachteiligt der himmlischen Welt vor meine Geschwister auftauchen und somit ging die Rechnung für den Beiden total auf! Als einmalige Gelegenheit konnte es auch nicht bleiben und so wiederholte sich dieses Ritual Tag ein, Tag aus.

In den ersten Tagen hoffte ich immer noch auf die Engelchen, später ließ es meinen zarten Stolz nicht zu, zuzugeben, dass ich keine Engel sah. Und ich würde heute noch da stehen und jeden Mittag für die beiden abwaschen, wenn nicht zufällig unser Vater den Beide auf ihre hinterfurzige Schliche gekommen wäre. Ach ja, wohl nicht nötig zu erwähnen, dass der Lustmacher tanzte.

Norberto der Älteste, musste ganz schön ranhalten was Arbeiten auf den Hof anging. Er musste oft herhalten wie ein Erwachsener oder Tagelöhner.

Das „draußen arbeiten“ oder auch einfach nur draußen mit den Großen zu sein, war meine Welt. Ich liebte zu helfen (oder im Weg stehen), hauptsächlich in der Natur und besonders gern mit Tieren. So war es sehr einfach für Norberto, mich als sein Anhängsel mit zu schleifen. Er musste mich nicht überzeugen, ich bettelte ihn regelrecht an. Ich musste aber immer versprechen, richtig anzupacken, nicht gleich aufgeben und vor allem keine Heulsuse zu sein.

So nahm er mich oft mit, nicht nur zum arbeiten auch zum Vergnügen (besonders das Seine). Wir gingen oft auf Tour. Streiften durch die Gegend und ich war der stolzeste Handlanger auf Erden. Oder fischen, jagen und richtige Jungenangelegenheiten, was immer wieder bedeutete, mein kleines Gebiss zusammen zu kneifen und kein Schmerz oder Reue zeigen. (das gibt aber einen extra Eintrag… irgendwann mal.)

Eines von den wenigen Erlebnissen aus meinem zartesten Kindesalter an die ich mich so klar und deutlich erinnere, ist das vor den Ochsen herlaufen.

Ich war noch sehr klein, vier höchstens fünf, da „durfte“ ich Norberto beim eggen begleiten und helfen.

Wir hatten viele Reben zu dieser Zeit und nach dem Rebenschneiden wurde der Boden zwischen den Reihen geeggt. Das Ochsenpaar passte gerade zwischen den Raben, was auch zu diesem Zweck so angelegt wurde.

Wiedermal hatte ich mir zu viel zugemutet. Oder mein Bruder mir?

Die Ochsen wurden so eingefahren, dass man vor ihnen her mit einer „Picana“ (langer und spitzer Stock) lief. Bei besonderes anspruchsvollen Manövrieren wie rückwärtsfahren oder wo ganz gezielt ranfahren um zu laden oder entladen, piekte man den entsprechenden Ochsen mit der Picana an dessen Schulter, usw.… das lernte ich aber alles sehr viel später als ich älter und größer war.

Die einfache Version Ochsen zu führen war vorher zu gehen und die braven Tiere folgten, bog man ab, so taten sie es auch. Blieb man stehen, sie folgten… rannte man, auch dann folgten sie!

Norberto stellte sich das so vor; er setzte sich hinten gemütlich auf der Egge und ich sollte vor den Ochsen, in den von Unkraut zugewachsenen Pfad zwischen den Reben, her laufen.

Die Weinreihen waren wohl immer so 150 – 200Mtr lang. Ich stellte mich vor dem Ochsenpaar mit der Picana in der Hand (eine kleinere für mich) und es sollte los gehen.

Dieser Moment wird nie aus meinem Gedächtnis weichen. Jetzt versucht Euch mal vor zu stellen wie ich mich fühlte.

Meine gesamte Körpergröße reichte gerade bis unter die Ochsenmäuler. Und da waren sie! Diese riesen große schwarze Löcher! Zwei auf jeder Seite! Wie Höhlen… nur wusste ich damals nicht was Höhlen sind… Aus den Löchern kam Dampf! Wie bei einem Drachen… nur wusste ich damals nichts von Drachen… Ich dachte sie würden mich verschlingen, inhalieren!

Ein Stück weiter oben rollten diese großen schwarzen Kugeln. Sie rollten arg nach unten und bildeten einen Weißen von winzigen Blutadern durchzogen Rand. Sie blickten zu mir runter!

Kennt Ihr das? Mit Kinderaugen ist alles soooo viel größer und furchtvoll.

Ich biss die Zähnchen zusammen und ging los… die Ochsen hinterher. Sie waren so dicht, ich dachte sie würden mich umrennen. Meine kleinen Schritte beschleunigten sich… die großen der Ochsen auch!

Norberto fing an zu schimpfen. Mein Herz viel in den Hosen. Ich hörte nicht auf Norberto, ich rannte immer schneller… genauso taten es die riesen Monster hinter mir. Panik umkindete mich, ich schlüpfte so schnell ich konnte unter den Reben zur nächsten Reihe… Die Ochsen folgten und blieben mit Kopf und Vorderbeine stecken. Bekamen inzwischen auch Tierische Panik und ramponierten die Reben.

Norberto war stink sauer auf mich, musste von seinen Thron runter und die Ochsen aus den Reben entwickeln. Dann wechselten wir Seiten. Ich durfte hinten auf der Egge sitzen… doch auch dazu war ich eigentlich noch zu klein und vor allem zu blöd. Nach einer kurzen Zeit kam mein Fuß in eine Raute, verhängte sich im Acker und ich schrie wie am Spieß!

Norberto hielt an und wollte wissen was passiert sei. Nachdem er mein Fuß rauszog und der auch Gott sei Dank noch ganz war, mahnte er mich ab nicht nochmal wegen so einer Lappalie zu schreien, höchstens wenn ich einen Hasen gefangen hätte.

Ich habe auch nie wieder geschrien, ich bin aber auch nie wieder auf eine Egge geklettert!

Liebe Grüße und bis bald!

9 Kommentare:

  1. Ach ja liebes Schwesterchen, das waren schon harte Zeiten für uns Kinder.
    Ich habe es aber immer mit List und Tücke verstanden mich von der Arbeit zu drücken, am besten ging das immer mit blöd und ungeschickt anstellen, verschwinden, verstecken, ich wurde immer einfallsreicher und hatte auch immer Erfolg.
    Ehrgeitz, Stolz oder Die Beste zu sein, war mir egal denn wenn man einmal was gut gemacht hatte konnte man es immer machen.
    Ich habe Handarbeit immer gehasst. Aber als unsere Mutti meinte wer Stickt brauch keine andere Arbeit machen habe ich nur noch so getan als würde ich Handarbeiten lieben und habe unter dem Stickzeug einen Roman versteckt und gelesen. Das waren endspannte Zeiten!
    Freue mich sehr deine Erinnerungen an unsere Kindheit mit Dir teilen zu dürfen. Danke dafür!
    Liebe Grüße
    Isolde

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  2. Liebe Ela. Da wurde dir ja allerhand zugemutet, mitunter hab ich so beim lesen gedacht, ja, als Erwachsener kann man heute wohl drüber schmunzeln, oder ?? Wir mußten als Kinder auch ran bei der Feldarbeit und uns hat es auch nicht geschadt. Gottseidank habe ich nur einen Bruder, grins. Und er hat mich immer beschütz statt zu ärgern. LG Inge

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  3. Liebe Ela,
    eigentlich kann ich gar nichts dazu sagen. Ich bin erschüttert und ich bewundere Dich, daß Du Dich so mit dieser Zeit auseinandersetzt.
    Ich werde das alls noch einmal lesen müssen und dann werde ich noch einmal kommentieren.
    Liebe Grüße und eine liebevolle Umarmumg
    Deine Irmi

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  4. Hallo Ela
    Danke für deinen Besuch und Kommentar in meinem Blog. Heute habe ich nur kurz in diesem Blog geschaut, und festgestellt, dass man sich Zeit nehmen muss hier zu lesen, weil der Blog so interessant ist.
    Also bis bald, Monré

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  5. Ich habe eben Deinen Blog entdeckt und den ersten Post gelesen. Was ich bis jetzt gelesen habe finde ich faszinierend und interessant.
    Es liest sich wirklich wie aus einer anderen Welt, was es ja irgendwie auch war.... heutzutage gar nicht vorstellbar.
    Ich werde auf jeden Fall weiter lesen und Deinen Blog verfolgen. ich bin schon sehr gespannt auf viele folgende interessante Geschichten.
    Liebe Grüße
    Anja

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  6. Hallo Ela.
    Deine Seife war die Kernseife.Die gibt es noch heute.Danke das Du dich bei mir Eigetragen hast.
    Ich werde in den nächsten Tagen weiterlesen.
    Ist bestimmt interresant,da ich auch Berlinerin bin und nur ein paar Jahre älter bin.
    Liebe Grüße Christa

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  7. liebe Ela, ich habe alles gelesen und mich reinversetzen können in diese wunderschöne Zeit mit großen und kleinen Erlebnissen, mit Sonnenschein und manchmal Tränen, diese Erinnerungen die einen geprägt haben.
    Mein Großvater war Kantor gewesen, als er verstarb zog die Großmutter auf einen Bauernhof, und das war das Schönste was ich als Kind erleben durfte,
    da gab es noch die Leiterwagen , die Pferde wurden vor gespannt, ich saß so klein wie ich war, zwischen den Sprossen, und mußte mich gut fest halten, wenn die großen Räder über den unebenen Boden vorwärts rollten, da gab es keinen Sicherheitsgurt oder Helm, und nichts ist passiert…
    ja und auch war es ein Erlebnis auf dem aufgestapeltem Stroh zu spielen und runter rutschen, dann juckten die Beinchen mit Strümpfen von dem Stroh,
    schöne Erinnerungen… das mit der Seife, wie du es schreibst kannte ich nicht, das Abwaschen mit Schüsseln ist voll Gegenwärtig, also habe Dank für deine netten Erinnerungen, es hat auch in mir so manches Erlebnis wach gerüttelt, liebe herzliche Grüße von Jasmin…

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  8. Über das Leben in Paraguay zu lesen ist sehr spannend!
    Liebe Grüße
    Gaby

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  9. ja sehr ergreifend darüber zu lesen

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