Warum gibt es diesen Blog?

Darauf gibt es ein paar Antworten: seit Oktober 2008 führe ich meinen Blog „My New Life In Canada“. Nachdem ich da hin und wieder Einträge über mein Leben in Paraguay eingestellt habe, bekam ich viele Mails, Kommentare und Telefonate mit der Bitte, weitere Beiträge über diese Zeit zu schreiben.

Obwohl es genauso mit meinem Leben zu hat, passt es aber nicht unbedingt zwischen die Berichte von meiner neuen und jetzigen Zeit in Kanada.

Dazu kommt, dass aus dieser schicksalhaften Zeit der Einwanderer in Paraguay von Anfang 1900, sehr wenig niedergeschrieben wurde. Die Älteren, die es miterlebt haben, sind leider schon verstorben.

Doch mein wichtigster Beweggrund für diesen Blog ist, das Erlebte von damals an meine Kinder und Enkel weiterzugeben. Sollten sie irgendwann wissen wollen, wie es damals war, müssen sie sich keine Vorwürfe machen, den Zeitpunkt danach zu fragen, verpasst zu haben.

Genau das ist mir passiert. Als ich jung war, interessierte es mich nicht. Ich fand die Geschichten aus der alten Heimat und die des neuen Aufbaus in Südamerika langweilig und nervig.

Ich war Kind und wollte Kind sein. Als ich erwachsen wurde, hatte ich meine eigenen Träume und Verrücktheiten im Kopf. Dann hatte ich mein eigenes Leben und meine eigene Familie.

Später wollte ich es wissen, doch die Großeltern waren längst verstorben, mein Vater auch und meine Mutter war von mir zu weit entfernt.

Bestimmt habe ich im Leben viele Fehler gemacht. Anstatt darüber zu jammern, betrachte ich es als eine Lehre und versuche, es in Zukunft besser zu machen.

Doch würde mir das Schicksal einen einzigen Tag meiner Jugend zurückgeben, würde ich ihn mit meinem Großvater „Opa Dreyer“ verbringen und ihm pausenlos Löcher in den Bauch fragen!

Diesen Blog widme ich meinen Kindern

Sonja A. McGill und Stephen J. Bennett.


„Ein niedergeschriebenes Wort, wird durch seine Veröffentlichung zu einem eigenen Leben erweckt“.

Donnerstag, 22. März 2012

Cati und Rosi

Eine „Criada“ zu haben, war und ist in Paraguay Gang und gebe. Übersetzt bedeutet es „Ziehkind“.
Oft ist es ein Patenkind, das vom Lande zur Patentante in einem Dorf oder Stadt zieht, beidseitig kostenlos, mit im Haushalt hilft und dort auch die Schule besucht.
Es kann aber auch ein völlig fremdes Kind sein, das z.B. aus armen Verhältnissen stammt und von den Eltern weggegeben wird.
Letzteres ist meistens auch sowas wie eine (sehr) billige Arbeitskraft. Ihr Gehalt besteht aus kostenloses Wohnen, Essen und das (allernötigste) an Kleidung.
Meistens noch sehr jung (5-7) Jahren, beginnen sie als kleine „Go-for“. Dieser Begriff stand aus dem Englischen und bedeutet: „go for this, go for hat…“ = „geh für dies, geh für das“…) Sie kleben an ihre „Ziehmütter“ und sind ständig bereit einen Befehl auszuführen. Ist die Ziehmutter mal unterwegs, helfen sie in der Küche, im Garten, beim Putzen, Wäschewaschen, eben alles!
Mir fällt in diesem Moment der Begriff „Lei-Ei“ als geeigneten ein. Ja genau… könnte bedeuten; „ein geliehenes Ei“… oder, nicht weniger unpassend; „Leibeigener Sklave“.
Auch wir hatten ein paar Lei-Eier.
Ganz, ganz früher hatten wir auch Dienstmädchen, Kindermädchen, Waschfrauen, regelmäßige Tagelöhner für die Feldarbeit und zusätzliche Tagelöhner für die Erntezeit.
Der Lohnsatz war sehr niedrig und man konnte es sich leisten. Bzw. war man dazu gezwungen, denn moderne Maschinen waren noch Scientfiction.
Dienstmädchen arbeiteten meistens von Montag bis Samstag und durften den Sonnabend und Sonntag zuhause verbringen. Arbeitszeit begann vor Tagesanbruch und endete nach dem die Küche vom Abendessen wieder glänzte. In der Mittagszeit gab es eine Siesta. Trotzdem war es ein begehrter Job.
Kindermädchen bekamen sehr wenig Lohn, sie mussten sich praktisch nur um das/die Kinder kümmern und wenn diese schliefen, deren Wäsche waschen und bügeln und helfen wo gerade Not war.
Lei-Eier ersetzten oft die Arbeit eines Dienstmädchens und Kindermädchen, mit dem Unterschied; „kein Recht und kein Lohn.“
Als ich 6 Jahre alt war, hatten wir die Veronika als Lei-Ei. Sie war nur zwei Jahre bei uns und eigentlich mehr aus dem Grund mir Gesellschaft zu leisten als die anderen o.g. Gründe. Veronika erhielt auch zusammen mit mir Privatunterricht und stammte aus Cambyretá, das Heimatdorf unserer Mutter. Sie war auch aus deutscher Herkunft. Eine kinderreiche Familie eben. 

Links Veronika, rechts bin ich.
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 Davon habe ich aber schon berichtet und außerdem geht es heute um Cati und Rosi.
1966 lebten wir noch in Villarrica. Meine Schwester war 17, verlobt und ihre Hochzeit war für den 21. September geplant.
Was noch geplant war… dass Schwester und Schwager nach der Hochzeit in dem Haus wohnen bleiben und Mutter wieder ganz nach Independencia zum Vater zieht.
Weiter war geplant… dass ich (13) nicht bei dem frisch vermählten Paar bleiben konnte und bis zum Schuljahrende bei meiner Nachbarsfreundin leben sollte.
Eigentlich sind Mutter und Schwester schon ein paar Monate vor der Hochzeit wieder aufs Land gezogen.
Doch bevor es soweit war, muss Mutter wohl ein wenig Bammel bekommen haben… ich kann es jetzt als erwachsener Mensch gut verstehen… nochmal zu dem Mann zurück von dem sie sich ja eigentlich (soweit es damals ihr Moralisches zuließ) getrennt hatte.
Mutter hatte vor nichts Angst und war eine Draufgängerin, um nicht zu sagen Streitsüchtige Person… trotzdem, kann ich mir gut vorstellen, dass sie große Angst vor dem Einsamkeit hatte. Klar war sie nicht allein, sie hatte dem Vater und die Schwiegereltern. Mit den Schwiegereltern verstand sie sich nicht so recht und der Mann meistens betrunken, dann ist man zwar nicht allein aber einsam.
Sie entschloss sich kurzerhand für ein Lei-Ei.
Noch in der Stadt, fragte sie dem Pfarrer, welche Damen aus der nahen Umgebung, sich bei der Beichte beklagten, nicht mehr alle hungrigen Mäuler stopfen zu können.
Der Paí musste nicht lange überlegen, er beschrieb ihr den Weg zu einer an Kindern reichen und an Verhältnissen sehr armen Familie die in einer Vorgägend lebte.
Diesen Tag werde ich nie vergessen. Die Bilder des Geschehens haben sich in meinem Gehirn eingebrannt.
An das genaue Datum kann ich mich nicht erinnern. Aber es war an einem Sonntag im Juni, Winter und kalt. Die Sonne schien und wir (Mutter, Schwester, fast-Schwager, Bruder und ich) marschierten los das Lei-Ei zu holen.
Wir hatte keine Ahnung was wir bekommen. Wir hatten keinen Namen, Alter oder sonst irgendwas.
Es waren so ca. 6-7 Km zum gehen. Die Spannung stieg! Jeder gab seinem Senf dazu, wie sie wohl sein wird.
Dann kamen wir an. Ein Rancho, so eine kleine Strohdachbehausung in einer kleinen Weide die mit Stacheldraht eingezäunt war.
Weil es sonnig war, waren die Bewohner vor dem Haus. Eine Schwangere Frau mit einem Kleinkind auf der Hüfte haltend, kam uns am Zaun entgegen. Weitere Kinder sprangen herum. Die Frau fragte uns was wir wollen. Sie sprach nur sehr gebrochen spanisch und kauderwelschte uns in Guaraní an.
Unsere Mutter sagte; „Wir wollen ein Kind.“
Die Frau antwortete; „Ja, der Pfarrer hat mir schon Bescheid gesagt.“ Und auf ihren Bauch deutend; „Ich muss eins hergeben, denn ich werde ja noch mehr bekommen.“
Dann drehte sie sich zu den in der warmen Sonne spielende Kinder und rief; „Cati… ejú“.
Da sahen wir sie. Ich spüre heute noch, wie gerührt ich damals war.
Die kleine, ca. 6 jährige kam gerannt und schaute ihre Mutter mit großen und fragenden Augen an. Die Mutter hob den untersten Stacheldraht des Zaunes hoch und sagte zu ihrer Tochter nur; „Terehó“. Cati krabbelte unterm Zaum durch, nahm die Hand meiner Mutter und lief mit uns mit.
Die Mutter lief zurück zum Rancho, kein Abschied, keine Umarmung, keine liebe Worte für den neuen weg der Tochter… nix!
Cati schaute nicht zurück, sie trippelte einfach neben uns her, bis wir endlich Zuhause waren. Sie weinte nicht ihre Mutter nach, sie fragte nicht nach ihr… sie tat es nie!
Zuhause angekommen, wurde es auch schon dunkel.
Wir hatten nichts, aber auch gar nichts vorbereitet. Wir wussten nicht einmal, dass wir mit einem Kind zurückkommen.
Das kleine Lei-Ei hatte nur ein dünnes dreckiges Baumwollkleidchen an. Es wurde kalt, sie hatte nicht einmal ein Jäckchen mit. Sie hatte überhaupt nichts. Auch keine Geburtsurkunde, wirklich nichts.
Wir haben als erstes Töpfe und Kessel mit Wasser auf dem Herd gestellt und die große Blechwanne, die zum Wäschewaschen diente, in die Küche geholt und den Zwerg erst gründlich geschrubbt. Sie war sehr zierlich und sah eher wie fünf aus… keine Ahnung wie alt sie wirklich war.
Wir glucksten alle um sie herum und jeder wollte ihr was Gutes tun.
Glücklicherweise, hatte der fast-Schwager ein paar gebrauchte Kinderklamotten gehabt, die er mal von Frankreich mitgebracht hatte. So bekam Cati noch an diesem Abend eine schwarze Skistretchhose mit Unterfußsteg und einen Pulli. Schon am nächsten Tag machte sich unsere Mutter dran, ihr fix ein paar Kleidchen und ein paar Unterhöschen zu nähen.
So gehörte Cati, von jetzt auf sofort, zu uns. Am Anfang spielte noch der fast-Schwager den Dolmetscher für das nur Guaraní sprechende Lei-Ei, doch Cati lernte sehr schnell Deutsch. Genau wie wir sagte sie vom ersten Tag an „Mutti“ zur Mutter.
Mutter hatte ihr Lei-Ei und zog zurück aufs Land. Da ich in der Stadt blieb, hatte ich wenig mitbekommen, wie Cati sich bei uns einlebte. Doch sie machte sich prächtig, war meiner Mutter nicht nur eine gute Begleiterin, auch eine große Hilfe im Haushalt.
Cati lernte alles, was auf dem Land zur Tagesordnung gehörte. 
Das ist wohl das einzige Foto, dass ich von Cati habe.
Oben links; Onkel Arwed und Tante Sofía
Sitzend von links; Oma Pretzel, Oma Dreyer und dahinter mit Lockenwickler unsere Mutter.
Die Kleine mit dem Lockenkopf in der Mitte ist Cati.
Unser Vater mit Pfeife, Cousine Dora aus Argentinien, Rosi und meine Schwester Jule.
Unten links; Bruder Manfredo, liegend mit Kuhschädel am Po ist Bruder Norberto.
Ich liege auf dem Rücken und zeige meine Beine. Auf meinem Schoß sitz meine Nichte Karin.
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 Eineinhalb Jahr später, glaubte ich lange genug die Schule besucht zu haben und entschied zurück nach Independencia zu gehen.
Ich lebte ein Jahr Zuhause und Cati war wie eine kleine Schwester für mich. Ich beteiligte mich voll an alle anfallenden Arbeiten, auch bei dem was man ausschließlich „Männerarbeit“ nennt. Ich half meinem Vater in der Landwirtschaft und Cati half wiederum mich.
Mein Traum war aus, als mein Bruder Manfredo kam und sagte, dass die Zeiten ohne Schulausbildung und auf eine gute Partie warten nicht mehr in sein und ich ohne Wiederrede zurück zur Schule soll.
Er besorgte mir ein kostenloses Schuljahrstubendium in der teuren Goethe Schule in Asunción. Der große Bruder Norberto war mit der Tochter ein österreichingen Ehepaares liiert, dort durfte ich wohnen… und schwupp… ich wurde auch zu sowas wie ein Lei-Ei! Was eine ganz andere Geschichte ist, nur so viel; nach dem ich ca. eineinhalb bis zwei Jahren dort lebte, war mein großer Bruder nicht mehr mit der Tochter des Hauses liiert, sondern mit einer jungen Dame, dessen Familie in San Pedro lebte. Das liegt ca. 500km nördlich von Asunción, in Ost-Paraguay.
Eines Tages sagte er mir, er habe einen Auftrag den ich für ihn auszufüllen habe. (Sowas kam öfters vor und ich gehorchte!) Ich sollte ein Indianermädchen, ca. 14 Jahre, das er von San Pedro bis Asunción bringt, mit dem Bus nach Independencia, raus zu unseren Eltern bringen. Er meinte; das Mädel wäre als Baby von den Indianern bei der Familie seiner Freundin abgegeben worden, doch die Familie kommt jetzt nicht mehr mit ihr klar, weil sie so stur ist.
Norberto meinte, wenn jemand mit ihr klar kommt, dann unsere Mutter. Ich hatte Angst. Damals wusste ich nichts über Indianer, nur das Falsche eben. 
Rosi beim Wäschewaschen.
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 Lei-Ei Nr. 2 hieß Rosi und ihrem Ruf „schwierig“ zu sein, machte sie alle Ehre.
Rosi war das Gegenstück von Cati. Sie war nicht groß und auch nicht dick… aber sie war weiß Gott, stämmig! Nicht nur ihr Äußerliches, auch ihr Wesen, trug dazu bei, dass der Boden unter ihrem Gang leicht bebte.
Cati war die übertrieben kurze Leine Mutter gewöhnt… sie kannte eigentlich auch nichts Anderes. Rosi bekam unsere Mutter mit der Methode „sehr kurze Leine“ einigermaßen im Griff. Auf dem Lande war es noch möglich.
Was ich unter „sehr kurze Leine“ verstehe; absolut keinen Alleingang! Keine eigenen und gleichaltrigen Freunde! Sie durften nur mit, wenn Muttern zu „ihren“ Freunden ging. Niemals alleine einkaufen oder Besorgungen erledigen!
Sonntags nachmittags durften die Lei-Eier mit zum Sportplatz, wenn meine Mutter dabei war. Dann aber auch nur unter strengster Aufsicht und immer in Sichtweite!

Rosi beim Maniok holen.
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 Die sehr kurze Leine, war so kurz, sie reichte nicht einmal zur Schule. Einmal weil die Schule ca. 6Km entfernt war. Die Lei-Eier hätten dort hin reiten müssen… = Mutter hätte sie nicht unter Kontrolle. Fast genauso schlimm als „wer macht die Arbeit?“
Rosi brachte ein wenig schreib und lese Kenntnisse vom ersten Lei-Zuhause, Cati blieb ohne dieses Wissen zu erlangen.
Muttern wollte es immer selbst tun, doch sie hatte selbst nicht viel Schulbildung. Zwar las Mutter sehr viel. Sie konnte einen 15Pf. Roman in einer Siesta auslesen, aber sie las auch sehr viele Bücher. Mit dem Schreiben hatte sie so gut wie keine Übung. Nur Unterschriften und wenn sie mal unbedingt was aufschreiben musste, dann tat sie es sehr langsam.
Rosi und John beim Lagerfeuer.
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 Ca. ein Jahr nachdem Rosi schon bei uns war und ich schon fast drei Jahre Hauptstadt und Schule hatte, entschloss ich zum 2. Mal, es mit der Schule nicht weiter zu übertreiben und folgte den Ruf meines Herzens, wieder nachhause auf Land!
Meine Freundin Musch und ich, wir haben uns die gleichen Hüte und Shorts genäht.
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 So hatte unsere Mutter plötzlich wieder drei Mädels im Haus.
Musch und ich auf dem Weg zum Sportplatz.
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 Ich kann mir schon vorstellen, dass Muttern damals kleine Panik Attacken bekam. Heute als …na ja, erfahrene ältere Dame… kann ich nur sagen; recht so… oder, selber schuld. Alles zu verbieten ist bestimmt nicht die beste Alternative zu „Nicht Aufklären“.
Ich war inzwischen 18 und sie konnte mir nicht mehr alles verbieten. Ich durfte mit meiner Freundin Sonntagnachmittag alleine zum Sportplatz reiten um Tischtennis zu spielen! Ich durfte alleine zum einkaufen reiten! Ich durfte mittwochs mit meiner Freundin zur Post reiten! Allerdings muss ich dazu sagen; zu meiner eigenen Sicherheit, musste ich immer vor Sonnenuntergang Zuhause sein.
Ach ja, ich vergaß… die Alternative zu „nicht Aufklären“, aber trotzdem nicht die vollkomme Kontrolle zu verlieren, regelte Muttern auf eine andere schlaue Art. Kaum war ich aus der Stadt zurück und bezog wieder mein altes Schlafzimmer, bestellte Mutter einen Tagelöhner und ließ 1,20mtr parallel zur Hauswand, an der Seite meines und dem Fenster der Lei-Eier eine 70 Zentimeter hohe Mauer aufziehen. Anschließen wurde das Ganze mit Erde gefüllt und hunderten von den stacheligsten Kakteen gepflanzt! 
Jesus, Maria und Joseph… sie war richtig Paranoia ich könnte nächtlichen Spaß in meinem Zimmer hereinlassen! Aber glaubt mir, nach kürzester Zeit war das Kakteenbeet so was von zugewachsen… oder, soll ich sagen zugedornt… da hätte sich nicht einmal ein Zirkuskünstler mehr getraut bei mir zu fensterln, um Angst sein Allerheiligstes voller schmerzenden Stacheln zu besticken.
Dazu kam noch, dass ich eh ein totaler Spätzünder in dieser Hinsicht war. Ok, Verliebtheit und Schwärmerei für angesagten und gutaussehenden Popstars und Kinohelden gab es in meiner Phantasie. Dementsprechend tapezierte ich auch alle vier Wände meines Zimmers, dessen Kalkfarbe langsam abbröckelte. mit Ausschnitten aus allen Zeitschriften und abgelegte Magazine die ich in den Händen bekam und zwar von der Decke bis zum Boden, ohne einen einzigen freien Zentimeter.
Meine Eltern fanden es Lustig und ließen mir machen… die Typen an der Wand waren eh alle unerreichbar und würden niemals auch nur bis zu den Kakteen kommen.
Mein Vater ließ das trinken nicht, Mutter ließ das Zanken nicht, so hatte ich mein kleines Reich und konnte mich drin zurückziehen und mein liebstes Hobby nachgehen; das Träumen!
Rosi und Oma Pretzel. An der Wand das frisch angelegte Kakteenbeet!
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 Nachdem ich fast einem Jahr daheim lebte, mieteten Bekannte von uns die leer stehende Kellerei zum Schnapsbrennen. Es sollte nur eine Übergangsphase sein, solange eine neue Schnapsbrennerei auf eigenen Grund gebaut wurde.
Plötzlich war Leben um unser Haus. Tag und Nacht brummte es und ständig kam oder ging Jemand vorbei.
Auch Strom hatten wir durch die Brennerei. Na ja, es war vorübergehend und wir kauften auch keine Elektrogeräte, aber wir hatten Licht!
Für mich schimmerte noch ein weiteres kleines Licht, der jüngste Bruder der Brennereieigentümer kam ständig zum Arbeiten und wie ich mit Herzklopfen bemerkte, auch um mich zu sehen.
So kam es immer häufiger vor, dass ich noch mehr versuchte, mich draußen zu beschäftigen. Hofkehren, Müllwegbringen, sehr langsam mein Pferd sattelte, die Tiere versorgte, etc.
Ich war inzwischen 19 und fand immer größer Gefallen an dieser neuen und vor allem reellen Art von Herzklopfen.
Doch lange bevor ich mich ernste Gedanken um einen Weg über den Kakteen machte, bemerkte es der Anstandsfuchs „Mutter“!
Wie praktisch sie, dass wiedermal der rettende große Bruder mit seiner Botschaft; „ich fliege nach Deutschland“ urplötzlich vor der Tür stand.
Hinter meinen Rücken wurde ausgemacht; die Ela muss von diesen Hallodri weg! (Übrigens, das war er nie und ist es bis heute nicht.)
Ruck-zuck hatte ich einen Pass und fünf Wochen später saß ich heulend im Flieger!
Unser alter Weinkeller.
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 Zurück zu den Lei-Eiern.
In der Brennerei brannte nicht nur Schnaps, auch in den Hosen der Arbeiter brannte es. Anscheinend auch nicht minder bei Lei-Ei Cati und Lei-Ei Rosi.
Ab hier berichte ich nach Erzählen meiner Mutter.
Mutter vertraute auf das Kakteenbeet und ihrem scharfen Sinn… doch ihr kennt das Sprichwort; wo ein Wille, da steht kein Kaktus im Weg… oder so ähnlich.
Doch dann entdeckte sie die herumliegenden, abgebrochenen stacheligen Soldaten und einen ausgetrampelten kleinen Weg!
Cati kann zu dem Zeitpunkt nicht älter als 13 gewesen sein. Dort geltet das aber schon zum geschlechtsreifen Alter mit allen Konsequenzen wie Kinderkriegen und so.
Anscheinend schlug es bei Muttern 13! Sie schäumte vor Wut, meinte auch schon einen ordentlichen Bauch bei Cati zu erkennen und noch am selben Tag, nein… im selben Moment, befahl sie Lei-Ei Cati ihre Sachen zu packen und Vater das Auto vorzufahren. (Vater hatte kurz davor sein allererstes Auto erworben, eine Ente). Muttern, Cati und Vater fuhren zum Rancho in der Stad, wo wir Cati sechs Jahre vorher an einen Sonntagnachmittag abholten.
Sie sprach kein Wort mehr mit Cati, bzw. erlaubte Cati nicht mehr etwas zu sagen. Cati musste austeigen und gönnte ihr nicht einmal ein Abschiedswort. Unwissend, ob die ehemalige Familie der kleinen dort noch lebe, befahl sie Vater weiterzufahren.
Das war das Ende von Cati.
Erst lange später, als ich im Urlaub in Paraguay war erfuhr ich die Geschichte. Ich weiß bis heute noch nicht was ich sagen soll. Ich schreibe darüber, weil in mir eine Wut brennt.
Das Thema war für Muttern durch und basta! Nichts, aber auch gar nichts, hätte sie umstimmen können.
Rosi konnte sie nicht fortbringen, wohin auch! Doch die Leine wurde noch strammer für sie angezogen.
Rosi war ein Dickschädel und konnte einem zur Weißglut reizen. Sie war ein Arbeitstier und erledigte am liebsten schwere Männerarbeit. Sie war sehr hilfsbereit und loyal, besonders deshalb wird ihr die Erfahrung mit Cati ganz schön an den Nieren gegangen zu sein.
Sie rebellierte (sicher mit Recht) immer ärger gegen Muttern. Die wiederum konnte nicht ertragen die Kontrolle zu verlieren, also wurde beschlossen; auch Rosi muss weg!
Sie brachte Rosi zu meiner Schwester, die inzwischen auch zwei Kinder hatte und in Asunción lebte.
Vorher brauchte Rosi Papiere.
Sie entwickelte sich immer mehr zum Mann, verhielt sich auch so und trug nur Männer Hemden, Hosen, Schuhe und alles was dazu gehörte bis hin zum Haarschnitt.
Da in Paraguay Militärpflicht herrscht, kann ein junger Mann in der Stadt unmöglich ohne „Baja“ (Ausweis für absolviertes Militär) herumlaufen. Rosi sah nun mal wie ein Mann aus!
Erst ging mein Vater zum Einwohnermeldeamt und besorgte eine Geburtsurkunde. Bis dahin alles leicht. Rosi entschied sich für den Namen „Rosalía Colmán“. Ihren Geburtstag feierten wir am 30 August, das genaue Geburtsjahr war nicht ganz klar.
Vater machte sie (wahrscheinlich durch Alkoholeinfluss) ein wenig jünger… oder, war‘s älter?... aber, er kam mit einer Geburtsurkunde zurück.
Der nächste Schritt, war zur Stadt zu fahren und den Ausweis zu beantragen. Da ging die Schererei los. Der zuständige Beamte der das Ausweisfoto machen sollte, sagte zu ihr; „für den Personalausweis ist Krawattenpflicht“ und hielt ihr eine Krawatte hin. Nicht nur Rosi‘s dunkle Haut, auch das Weiße ihrer Augen lief hoch Rot an… er wollte nicht glauben, dass Rosi eine Frau ist.
Sie musste mit einer Polizistin zur Geschlechtserkennung in einer Kabine… das war für Rosi mehr als eine doppelte Folter. Sich entblößt zu zeigen, war für sie so ziemlich das Letzte lange nach dem Allerletzten.
Aber da musste sie durch, schließlich wollte sie immer wie ein Kerl aussehen. Erst dann durfte sie als Frau und gerechter maßen ohne Krawatte für den Ausweis abgelichtet werden.
Rosi bekam ihren Ausweis und Muttern sie los.
Auch bei meiner Schwester war Rosi eine gute Hilfe. Zwar war die Arbeit lange nicht mehr mit der Arbeit auf dem Land zu vergleichen. Hinzukam, dass meine Schwester ihr ganz andere Privilegien einräumten.
Sie durfte endlich ein wenig über sich selbst bestimmen. Doch ob das mal so gut war? Bald fingen die Probleme an.
Höhepunkt war der Tag, als eine Mutter mit ihrer weinende Tochter am Gartentor meiner Schwester stand. Als diese sie nach ihrem Belangen fragte, sagte die Mutter der weinenden Tochter, dass sie zu „Rogelio“ wolle. Darauf erklärte meine Schwester, dass bei ihr kein Rogelio wohne. Die Dame ließ aber nicht locker und dummerweise kam zufällig Rosi aus dem Haus. Da schrien beide Weiber; „da ist er doch!“
Herausgestellt hat sich, dass Lei-Ei Rosi inzwischen auch Mann sein wollte und mit dem Mädel was angebändelt hat. Nicht nur das, sondern gleich das ganze Programm! Sie hat sich mit ihr verlobt und die Ehe versprochen!
Jetzt kam Schwesterchen nicht mehr mit ihr klar und Lei-Ei Rosi wurde wieder zur Lei-Mama gebracht.
Inzwischen war die neue Schnapsbrennerei fertig. Bei meinen Eltern auf dem Lande kehrte die Ruhe zurück und die Elektrizität weg.
Mit Rosi wurde sowas wie einen mündlichen Vertrag ausgemacht, sie bekam ein Gehalt und alles war wieder beim altem.
Muttern hatte außer meinem Vater, wieder eine weitere Person zum streiten, aber vor allem eine gute Gesellschaft und Hilfe.
Mit Rosi werden noch weitere Geschichten folgen, aber alles zu seiner Zeit.
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Viele liebe Grüße!

11 Kommentare:

  1. Ela, daswar spannend wie ein Roman. Ich bin beeindruckt und freue ich auf die Fortsetzung.
    Liebe Grüße zu Dir
    irmi

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  2. Liebe Ela,
    man was waren das für Zeiten, obwohl ich zu dieser Zeit in Paraguay lebte, weiss ich auch nicht was wirklich mit Cati geschehen ist, Mutti erzählte auch mir diese Geschichte, aber sie tat mir unentlich Leid, die arme, denke heute noch sehr oft an sie.
    Rosi war sehr schwierig. Aber sie war eine sehr treue Seele.
    Ich freue mich auf deine noch kommenden Einträge über unser leben in der Kolonie. Hab mich heute sehr gefreut, dein Eintrag war mal wieder sehr treffend erzählt.
    Na denn bis bald.
    Saludos y abrazos de tu hermana.

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  3. Hi Du Liebe,
    das klingt fuer mich wie eine andere Welt, ist es wohl auch. Dass ir das mit Euren Leih-Eiern ans Gemuet gegangen ist, ist nur verstaendlich.
    Waere schoen, wenn Du bald berichten koenntest, wie es weiterging mit Rosi.
    LG und Dicken Knuddeler,
    Sue

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  4. Liebe Ela,
    deine Geschichte ist so spannend ,besser als manches Buch.
    Freue mich schon auf weitere Geschichten mit Rosi.
    Liebe Grüße Christa

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  5. Aufregende Zeiten. Teilweise unvorstellbar. Weisst du was aus Cati geworden ist?

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  6. Eine schöne aber auch traurige Geschichte. Sehr spannend erzählt.
    LG Kilchen

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  7. Liebe Ela,
    als bloglose Mitleserin Ihrer beiden blogs kann ich nur sagen : Spannung pur ! Wäre es ein käufliches Buch - ich würde die Nacht durch lesen bis zum Ende !! Sicher war Ihr früheres Leben auch ein schweres aus heutiger Sicht.
    Aber meine besondere Bewunderung gilt Ihren Berichten vom Jakobsweg.
    (...und natürlich Ihren Patchworkarbeiten, darüber bin ich schließlich auf Ihre blogs gestoßen).
    Haben Sie vielen Dank, daß wir daran teil haben dürfen.

    Liebe Grüße aus Bayern !

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  8. Was für eine Geschichte...
    Die weckt Mutterinstinkte (arme kleine Cati!), das Zwerchfell (sorry, aber die Abwehrmaßnahmen Deiner Mutter sind göttlich! Kakteen! Ich werd nicht mehr!! *kicher*) und große Neugier.
    Ich kann Deine Wut über Catis Rausschmiss gut nachvollziehen. Mag mir kein Urteil über Deine Mama, die ich ja nun nicht kenne, erlauben - aber es klingt so unvorstellbar, so hart und kalt, ein so junges Mädel so einfach vor die Tür zu setzen. Wie mag ihr Leben wohl weitergegangen sein? So ohne jegliche Schulbildung wird sie es nicht leicht gehabt haben. Wollen wir hoffen, dass sie ihre Familie daheim angetroffen hat!

    Und Rosi... die klingt nach einem echten Unikum! Sie wird sicherlich einige Hürden gehabt haben im Leben, aber ich bin sicher, sie hat es gemeistert. Bin gespannt auf Deine Fortsetzung!!!

    Liebe Grüße
    Britta

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  9. Liebe Grüsse aus Belgie, shoëne blogs

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  10. Hallo,

    ich mag solche alten Fotos sehr.
    Herzliche Grüsse aus den Niederlanden

    Conny

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